Drei Zeichen sind ein Wort - Band 1
– warum bleibst du nicht einfach zu Haus und ...«
»Halt den Mund!«, unterbricht der Vater sie schroff. »Es hat keinen Zweck mit dir. Wenn ich zurückkomme, dann sieht ohnehin alles anders aus. Dann reden wir wieder.«
Halt den Mund? In Leonie steigt die Wut auf. Über das, was er mit ihr bereden will, hat sie bestimmt keine Lust zu sprechen.
Harald Lasker bückt sich nach seinem Koffer. »Das gestern Abend«, sagt er, ohne sie anzusehen, »das war dicht an der Kippe. Wenn meine ... Abstammung herauskommt, dann ... Ab nächstem Jahr duldet der ›Stahlhelm‹ keine Männer mehr in seinen Reihen, die ... irgendwie von Juden abstammen.« Nun fi xiert er sie. »Damit du’s nur weißt.«
»Wunderbar!«, entfährt es Leonie. Mit ihrer Beherrschung ist es vorbei. »Das wäre das Beste, was dir passieren kann.«
Und da hat sie Harald Laskers Hand im Gesicht.
Leonie taumelt. Er hat mit Wucht zugeschlagen. Sie tastet nachihrer Wange, starrt diesen Mann an. »Mein Vater ist ein Schläger!«, flüstert sie entgeistert.
Lasker dreht sich um. Er packt den Koffer, die Tür fällt hinter ihm ins Schloss. Leonie hört seine eiligen Schritte auf den Treppen, er rennt. Er rennt weg.
Erst als sie nichts mehr von ihm hört, bricht sie in Schluchzen aus. –
Ihr ist, als würde sie keine Luft mehr bekommen. Weg, nichts wie weg. Hier kann und will sie nicht bleiben, egal, ob Harald Lasker sich hier oder woanders aufhält. Irgendwie ist sie wie betäubt von dem, was da eben geschehen ist. Was hat dieser Mann, der sie geschlagen hat, mit ihrem liebevollen Vater zu tun? Sie ist verdorben worden? Verdorben ist er . Er ist zu einem Fremden geworden.
Sie stürzt in ihre Kammer, beginnt ihren Koffer zu packen. Wirft wahllos hinein, was ihr in die Hände kommt. Wintersachen, Sommersachen, Schuhe, Wäsche. Schreibzeug, die Schillerausgabe von ihrer Mutter, darin das Reisegeld aus Hermeneau, der Brief von Gaston. Die jüdischen Legenden. Hinter den Büchern liegt still und heimtückisch diese rote Armbinde mit dem Kreuz. Die schmeißt sie dazu.
Lora muss natürlich mit. Sie wickelt ein warmes Tuch um den Käfi g; Sittiche sind sehr kälteempfi ndlich. Sie wird sich irgendwo ein Zimmerchen suchen, sie verdient ja jetzt ihr Geld für sich. Vielleicht kann das Tier erst einmal bei den Laskarows bleiben, bis sie etwas gefunden hat.
Im Spiegel besieht sie sich ihr Gesicht. Ihre geschlagene Wange zeigt die Spuren der fünf Finger von Harald Lasker. »Danke, Papa!«, murmelt sie traurig und zornig. Ein feuchtes Tuch aufs Gesicht gepresst, wirft sie noch einen Blick ins Wohnzimmer.
Er hat sich nicht einmal die Mühe gemacht, die Schublade wieder zu verschließen. Im Gegenteil, sie ist halb herausgezogen. Natürlich ist die Waffe fort, mitsamt dem anderen Kram.
Wenn sie nur nicht so eine Angst um ihn hätte. Nur zornig zu sein, wäre einfacher.
26
Ich drehe den Schlüssel zur Wohnung am Spittelmarkt um und stehe mit Koffer und Vogelkäfi g im Flur.
Selde Laskarow kommt aus der Küche und wirft einen erstaunten Blick auf das, was ich hier anschleppe.
»Was ist denn los?«
»Ich musste ausziehen«, sage ich und erkläre nichts weiter. »Darf ich den Vogel bei Ihnen lassen, Frau Laskarow, bis ich eine Bleibe gefunden habe?«
Die Frau des Hauses mustert mich von Kopf bis Fuß. »Was ist denn passiert?«
»Familienzwist«, sage ich ausweichend und schlage die Augen nieder. Sie merkt, dass ich darüber nicht reden will.
»Das da?«, sagt Madame und zeigt mit dem Finger auf meine Wange. Ich nicke stumm.
»Musst mir nichts erzählen. Häng deinen Mantel dahin, wo du ihn immer hinhängst und komm in unsere Küche.«
Gut, dass sie nicht weiter nachfragt. Dankbar tue ich, was sie mir sagt.
»Darf ich den Vogel mit reinnehmen?«, frage ich.
Madame nickt und guckt neugierig auf das noch eingewickelte Bauer. »Was ist denn das für’n Tierchen?«, fragt sie.
»Ein Wellensittich«, erwidere ich. »Den hab ich mal im Park gefunden. Hatte sich verfl ogen. Ich hab ihn angelockt und wieder gesund gepfl egt.«
»Zeig mal!«, fordert sie mich auf. Ich wickele den Käfi g aus der Decke und stelle ihn auf den Boden.
Lora hat den Transport gut überstanden. Sie knispert mit dem Schnabel und blinzelt.
Madame schlägt die Hände zusammen. »Nein, ist der sieß!« Sie geht in die Hocke und steckt einen Finger durchs Gitter, und Lora rutscht näher und beginnt, diesen Finger zart zu beknabbern. Die Laskarow verdreht die Augen vor Wonne.
»So
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