Drei Zeichen sind ein Wort - Band 1
Leonie einen wissenden Blick zu. »Kannst du mir den Schuhkarton mit den Verträgen rübergeben? Danke.«
Sie leckt den Finger an und blättert routiniert durch. »Deinen habe ich auch schon fertig gemacht, aber Proben werden grundsätzlich nicht bezahlt. Und was die Sulamith angeht, was da noch steht außen, da machen wir eine extra Vereinbarung.«
Leonie bleibt die Luft weg. Das Blut dröhnt ihr in den Ohren. Von jetzt auf den Moment kippt alles wieder. Sie gehört weiter dazu! Sie wird spielen – sie wird mit Schlomo auf der Bühne stehen! Und sie wird sogar Geld verdienen, auf eigenen Füßen stehen können.
»Puppchen, hörst du mir zu?«
Selde Laskarow lehnt sich zurück und verschränkt die Arme vor dem imponierenden Busen. »Weißt du noch, was ich dir gesagt habe zu Anfang? Einer der Gründe, dass du rausfl iegst?«
»Ja«, erwidert Leonie und begegnet dem forschenden Blick der anderen. »Wenn ich mich an den Heldendarsteller heranmache.«
»Richtig. Der Wahrheit die Ehre: Ich hab das ja beobachtet, wie ihr beieinander gluckt. Das ging sicher los, als ihr tanzen wart, und bei den Proben hab ich schon gesehen, was mit euch ist. Bin ja nicht blind. Gründe, dich zu feuern, hätte ich damit genügend beisammen. Ich denke bloß, das wäre schofel. Da würde ich was verdrehen. Weil du nämlich, denke ich, nicht die warst, die angefangen hat – wenn ich das richtig sehen konnte. Und weil du alles in allem richtig gut bist für uns. Schade, dass du eine Schickse bist. Sonst hätt ich beinah nichts dagegen. Aber so: Halt dich zurück und gib ihm nicht nach, mit allem ... Verstanden?« (Ich denke nicht im Traum daran, mich zurückzuhalten.) Sie räuspert sich. »So, jetzt nimm mal diesen Arm voll Sandalen und bring sie hoch in den ersten Stock, in den kleinen Saal. Das wird die Chorgarderobe. Dann sehen wir weiter.«
Als sie wieder an der Seitenbühne vorbeigeht, singt der Hauptdarsteller gerade mit allem Schmalz in der Stimme, zu dem er fähig ist: »Kindchen, du musst nicht so schrecklich viel denken!«
Balance nicht verlieren und nicht zu viel denken – Leonie findet, der »guten Ratschläge« sind es für heute Vormittag genug.
25
Man begrüßt mich auf der nächsten Probe mit der größten Selbstverständlichkeit, als sei nichts gewesen. Vielleicht gehören Heulerei und Krach und »die Krise« ja auch einfach dazu ...
Immerhin, diesmal bleibt der Prinzipal dabei, nimmt unten im Saal Platz.
Wir arbeiten weiter an der gleichen Stelle, wo wir abgebrochen haben, als Dina den »Sternensohn«, ihren Verlobten, den eben gekürten Anführer desVolkes, sieht, die Stelle, wo die Stimmung zweimal kippt.
Jetzt weiß ich ganz genau, was ich machen werde. Dem demütigen Text der Begrüßung des frisch ernannten Volksführers, wo Dina so tut, als wäre sie ihm völlig unterlegen, setze ich eine andere Körpersprache entgegen: herausfordernd, fast spöttisch, sodass er merken muss, mit ihrer Demut ist es nicht weit her. Sie nennt sich zwar »die unwürdige arme Dina«, aber sie zeigt, dass sie sich nicht so fühlt. Leise und verhalten hingegen, aber mit dem Wissen, wie wichtig ihre Liebe für seinen Kampf ist, spreche ich die heldische Passage: »Gekommen ist die Zeit, das Land zu befreien! Gott sendet seinen Engel und ich, ich werde bei dir sein!« Und dann, gesammelt, prophetisch, die letzten Worte der Szene, nachdem er fort ist: »Wie es läuft zum Tod, das junge Blut! Doch den Feind wird er vertreiben, Zion befreien. Wert sind es die Opfer, ich fühle, ich sehe, ja, befreit wird Zion, befreit wird Jerusalem!« Und keine Spur von Zusammenbruch wie in den alten Aufführungen.
Schlomo lässt mich gewähren, sagt weder gut noch schlecht. Er unterbricht nur zweimal, um einen Gang zu korrigieren, einen Bewegungsablauf mit mir abzugleichen.
In der Pause sitze ich wieder in dem vollgekramten Zimmerchen,erst gespannt und dann enttäuscht, weil niemand etwas sagt. Warum kommt der Chef nicht vorbei? Warum hat der Prinzipal keine Meinung zu dem, was ich eben gemacht habe? Wenigstens er. Ich fühle mich erschöpft und müde, weiß nicht, wie lange ich so sitze und warte.
Gerade will ich wieder hinausgehen, da kommt dann doch noch Schlomo geschlendert, sieht sich um, hebt wie von ungefähr den Deckel von einem der Körbe, um hineinzugucken, dann vom zweiten, setzt sich mir gegenüber, schlägt die Beine übereinander, wippt mit dem Fuß, betrachtet mal wieder seine Fingernägel. Bemerkt schließlich beiläufi g:
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