Drei Zeichen sind ein Wort - Band 1
Hackt da jemand Holz? Kreischen da Frauen? Werden Tiere misshandelt?
Sie hat auf einmal so einen trockenen Mund.
Als sie von der Hirtenstraße in die Grenadierstraße einbiegen will, kommt ihr ein dunkler Schatten entgegengefl ogen, weiß und schwarz, ein gerissener Anzugärmel lässt das Hemd aus dem Riss herausfl attern. Schlomo. Er trägt seine Bühnenschuhe mit den hohen Absätzen. Prallt auf sie.
»Himmel und Hölle, Duschenju, lauf, was du laufen kannst!« Das tut sie nicht.
»Was ist passiert?«
»Da kommen welche! Sie schlagen alles kurz und klein«, sagt er keuchend.
»Wer kommt?«
»Die sind wild geworden.« Er fährt sich mit beiden Händen übers Gesicht. »Mame sagt, das ist ein Pogrom. Sie kennt das, von da, wo sie herkommt.«
Seine Haare, diese wilden Ringellocken, sind klatschnass. Im schwindenden Licht erkennt sie, dass er noch nicht einmal abgeschminkt ist. Die schwarze Umrandung eines Auges verläuft als Strich über seine Wange. Sein Mund steht offen.
»Ich verstehe gar nichts«, sagt sie. »Wer kommt da und was machen sie?«
»Leonie, lauf doch einfach!«, sagt er verzweifelt. »Die gucken nicht, ob wer hierhergehört! Die prügeln auf alle ein!«
Er packt sie an den Schultern und dreht sie herum, gibt ihr einen Stoß. Will sie zum Davonrennen in die andere Richtung bringen.
Der Krawall kommt näher. Das sind Schläge gegen Haustüren. Inzwischen ist es fast völlig dunkel. Aber was sich da heranwälzt, hat Taschenlampen und Blendlaternen. Auf ihrem Weg klirrt es: Die zerschmeißen die Straßenlaternen. Und dann können sie es erkennen: Da wird einiges mitgeschleppt. Große Kisten, ein Fass, ganze Stoffballen, Spitzenstores, die im Dreck schleifen, und das Licht einer der Taschenlampen bricht sich im Silber eines Sabbatleuchters. Die grölen. Die plündern.
Brandgeruch liegt in der Luft.
Leonie und Schlomo sind allein auf der Straße. Sie stehen dicht unter einer glimmenden Gaslaterne, sind weithin sichtbar. Plötzlich gerät das da drüben ins Stocken.
»Da! Da sind welche! Schnappt sie euch!«
»Du dummes Ding! Es ist zu spät!«
Schlomo packt ihre Hand, verfällt in den Sprachduktus seiner Mutter: »Komm, wenn du willst behalten Leben und Gesundheit!« Nun reißt er sie mit sich fort, dass sie stolpert und fast stürzt. Zieht sie weg, biegt dann mit ihr um die Ecke, in die Schendelgasse, rennt mit ihr auf den Hinterhof, wo das Magazin ist.
Leonie lässt sich mehr zerren, als dass sie selbst geht.
Dieser Geruch nach Feuer ... Das Ziehen in der Brust ... Isabelle, was hast du gesehen von dieser Stadt? Was habe ich gesehen bei ihr? Feuer – nackte Menschen ...
Fast versagen ihr die Beine.
»Um Gottes willen, Schlomo, wir geraten in eine Falle! Das Magazin ist abgeschlossen, deine Mutter hat den Schlüssel!«
»Lass mich, ich kenne mich aus.«
Er schiebt sie in den Schuppen, in dem sich die Vorräte an Brennmaterial aufhäufen, Holz, Kohlen und Koks. Jemand hat vergessen, hier abzuschließen. Ganz hinten in der Bretterwand ist eine Latte, die sich verschieben lässt, eine Lücke. Sie zwängen sich hindurch, erst er, dann sie. Zwischen Schup pen und Magazin ist ein Gang. Schlomo zieht sie da entlang, klinkt eine Seitentür auf. Dann stehen sie drinnen, an die Wand gelehnt, im Geruch nach Mottenpulver und Staub und sind ganz still. Nur ihr Atem ist zu hören.
Dann Schritte auf dem Hof, Gejohle, Rufe.
»Wo sind die denn hin? Vom Erdboden verschluckt?«
»Ach lass doch die beeden. Wir gucken uns mal den Schuppen an. Ick jloobe, da is bestimmt wat zu holen!«
»Oh Gott, wenn sie das anzünden, Schlomo, all dies Zeug da drin!« Sie kann vor Angst kaum reden.
Seine Stimme ist wie ein Hauch. »Glaube ich nicht. Das tun die nicht. Eher sacken sie ein, was sie kriegen können. Hier wollen die nur plündern.«
Er scheint recht zu haben. Unter Gelächter und Gebrüll reißt man die Tür des Schuppens auf, macht sich an den Vorräten zu schaffen. Hat wohl gar ein paar Handwagen darin gefunden, es rattert und rollt auf den Kopfsteinen des Hofes. Dann sind sie weg.
»Schlomo, was war das alles?« Ihr zittern die Knie.
»Sag ich dir doch. Pogrom. Sie haben die Leute aus den Häusern gezerrt. Sie haben ihnen die Kleider ausgezogen. Männern und Frauen. Die standen nackt auf der Straße. Nackt. Haben gebettelt und gefl eht, aber die Kerle lachten nur dreckig. Sie haben den Männern die Bärte versengt. Sie holen sich aus den Häusern, was sie wegtragen können.« Er atmet stockend.
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