Drei Zeichen sind ein Wort - Band 1
»Guck sie dir doch an, diese Mauschels! Lauf doch einmal durchs Scheunenviertel! Diese .., diese Gestalten da – mit denen willst du verwandt sein? Nein, Leonie, davon sind wir inzwischen meilenweit entfernt.«
Er geht zu mir, legt den Arm um mich. »Es hat also doch noch einen anderen Grund gehabt, dass du so schnell wiedergekommen bist, nicht wahr?«, sagt er, nun wieder in normalem Ton. »Es hat dich irritiert, was da veranstaltet wurde, gib es zu.«
»Ja, es hat mich .., irritiert«, sage ich, und das ist ja nicht gelogen.
Irritiert war ich eine Weile, ziemlich durcheinander, das stimmt ... Aber ich merke, ich komme nicht an ihn heran. Ich kann ihm davon nichts erzählen, weil er es von vornherein ablehnt.
Aber dann fällt mir etwas ein. Wenigstens das muss ich noch probieren – weil so vieles davon abhängt. Ich löse mich von ihm und sage: »Warte. Ich muss dir noch etwas zeigen. Etwas, was mit meiner Reise zu tun hat.«
Schnell gehe ich in mein Kämmerchen und hole das Blatt, auf dem Isabelle mir die drei Buchstaben aufgemalt hat.
Mein Vater sieht mir entgegen, und als ich ihm das Papier vor Augen halte, runzelt er die Stirn – natürlich erkennt er, dass es hebräische Schriftzeichen sind, man fi ndet sie ja überall hier in Berlin, auch in andern Stadtteilen, wo es jüdische Läden gibt.
»Was soll das jetzt wieder?«, fragt er unmutig.
»Isabelle sucht nach drei – drei Familienandenken aus Gold. In dieser Form«, sage ich so beiläufi g wie möglich. »Sie sind im Lauf der Zeit abhandengekommen. Haben wir vielleicht eins davon?«
(Das wäre zu schön, um wahr zu sein. Die Suche Nummer eins gleich im eigenen Haus beenden ...!)
»Aus Gold?«, wiederholt mein Vater. »Wenn ich so ein Ding aus Gold hätte, Schätzchen, dann hätte ich es längst gegen harte Devisen verkauft, und es würde uns besser gehen!«
Nie würde sich jemand aus der Familie von so etwas trennen, höre ich die alten Leute auf Hermeneau sagen und befürchte zum ersten Mal, dass sie unbedarfter sind, als ich dachte. Das Herz rutscht mir in die Hosen. Meine Aussichten, die »Mission« schnell zu erfüllen, scheinen wenig rosig zu sein.
»Schade«, sage ich und stecke das Blatt in meine Tasche. »Die Urgroßtante sagte, sie würde dafür sehr gut bezahlen.«
»Ja, da sind wir mal wieder auf der Verliererseite!«, entgegnet mein Vater grimmig.
»Etwas, wofür gut bezahlt wird, fi ndet sich bei uns bestimmt nicht. Komm in die Küche. Mal sehen, ob wir irgendwie ein Abendessen zusammenkriegen.«
4
Natürlich ist sie enttäuscht. Enttäuscht von der Haltung des Vaters, von seiner völligen Unzugänglichkeit. Und erst recht von seiner Mitteilung, dass es keinen der Buchstaben bei ihnen gibt. Die Familiengeschichte der Laskers klang doch so glaubwürdig! Sollte Isabelle sich geirrt haben? Ist das alte Erbstück vielleicht doch längst zu Geld gemacht worden? Schon vor Jahrzehnten, noch vor der Zeit von Harald Lasker?
Sie darf die Hoffnung nicht aufgeben. Wenn der Vater den Wert (den Goldwert!) des Zeichens nicht kannte, vielleicht hat er es ja nie beachtet? Vielleicht steckt es ja in irgendeinem der Kartons, die nach dem Umzug nicht aufgemacht wurden – oder es gibt zumindest einen Hinweis darauf, wo es hingekommen sein könnte.
Es ist schwer, herumzustöbern und nach etwas zu suchen, wenn man erstens keinen Schimmer hat, wo man es suchen könnte, und zweitens einen Vater, der fast den ganzen Tag zu Haus sitzt.
Er ist am Tisch in der Küche, mit Stapeln alter Kochbücher sowie Papier und Stift, und füllt die Seiten vor sich mit seiner schönen, schwungvollen und gut leserlichen Schrift. Formulieren kann er. (Nach dem Abitur wollten ihn seine Lehrer überreden, zu studieren, aber dann ging er doch lieber bei seinem Vater, dem Koch, in die Lehre – von Anfang an mit dem Ziel, etwas Besonderes zu werden. Ein Elitekoch.) Falls er keine Bewerbungs schreiben verfasst, schreibt er trotzdem. Seine Idee, wenn er schon arbeits los ist, vielleicht ein neues Kochbuch mit seinen Rezepten verfas sen zu können, lenkt ihn wenigstens ein bisschen ab in seinem Elend der Arbeitslosigkeit. So auch jetzt, sehr zum Leidwesen Leonies.
Es darf also nicht auffallen, wenn sie hier und da herumkramt.
In ihrem eigenen Kämmerchen ist ohnehin nichts verborgen, das weiß Leonie. Dazu wäre ja gar kein Platz.
Fängt man also am besten mit dem Schlafzimmer an. In dem großen Kleider- und Wäscheschrank ist alles eng gestapelt. Der Inhalt war in der
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