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Drei Zeichen sind ein Wort - Band 1

Titel: Drei Zeichen sind ein Wort - Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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mit einem Metallverschluss. Als Leonie es öffnet, sieht sie, dass die Seiten aus zwei Lagen miteinander verklebter dicker Pappe bestehen, eingestanzt jeweils auf der Oberseite die Öffnungen für die Bilder, wie Fenster.
    Das Album ist nicht voll. Die Leute, die sich da haben ablichten lassen, tragen alle Frisuren und Kleidungsstücke aus einer Zeit, die lange vor dem Krieg liegen muss. Die Männer sind bärtig, die Frauen streng gescheitelt. Niemand von ihnen kommt Leonie bekannt vor. Kein Wunder, dass das Album dahinten im Schrank liegt. Wer weiß, was für Leute das sind, entfernte Verwandte vielleicht. Sie kann ja mal den Vater danach fragen.
    Dann entdeckt sie ein vertrautes Gesicht. Das heißt, es ist nur bedingt vertraut, sie ist es älter gewohnt. Ein Junge, vielleicht so zwölf Jahre, weit auseinanderstehende Augen, ein Grübchen im Kinn wie der Vater. Das muss eindeutig ihr Großvater sein, der ge storben ist, als sie sieben oder acht Jahre alt war. Leo Lasker, der Koch. Oder besser, der Junge, der später ihr Großvater sein wird. Er trägt einen strengen Anzug mit engem hohen Kragen. Er hat – Leonies Herz beginnt zu klopfen – eine Kappe auf dem Kopf, wie sie Gaston am Sabbat getragen hat. Die Haare an seinen Schläfen sind auf jeder Seite zu zwei langen Locken gedreht. Und er ist nicht allein. Neben ihm steht sein Ebenbild. Als habe man den einen in dem anderen gespiegelt.
    Leonie hat einen trockenen Mund. Was ist das? Was um Himmels willen bedeutet das?
    Vorsichtig löst sie die verklebte Pappe, um das Bild herauszuholen. Sie dreht es um. »Photographische Anstalt Perez Goldfaden zu Berlin« ist da aufgedruckt. Und dann in verwaschener Tinte: »Bar Mizwa von Leo und Jonas Lasker Berlin 1876.« Darunter in Klammern in einer anderen Schrift: »Alias Jonas Laskarow.«
    Leo Lasker, das ist der Großvater. Aber wer in aller Welt soll Jonas Lasker oder Laskarow sein? Und was ist Bar Mizwa?
     
    Ich bin so aufgeregt, dass ich das Bild nur mit Mühe und Not wieder zwischen die Pappen schieben kann. Meine Hände zittern.
    Ich blättere weiter in dem Album, aber da kommen nur noch drei, vier Bilder von Leuten, die ich nicht kenne und die ernsthaft und streng in die Kamera schauen, als wäre Fotografi ertwerden etwas, was wehtut. Dann lege ich meine Entdeckung erst einmal aus der Hand auf den Nachttisch neben mir und setze mich aufs Bett, auf die gesteppte Tagesdecke.
    Leo und Jonas? Zwillingsbrüder? Der Großvater hat nie etwas davon erwähnt, soviel ich weiß. Aber ich war ja noch klein. Ich müsste den Vater fragen. Bloß wie stelle ich das an, ohne dass er sich erneut aufregt?
    »Süße Leonie!«, plappert Lora wieder. Sie scheint sich sehr für das geöffnete Album in meinen Händen zu interessieren, vielleicht ist es der vergilbte Papiergeruch, der von ihm aufsteigt, oder ist es das alte Leder? Jedenfalls werkelt sie eifrig daran herum, »blättert« mit Geschick, zerrt mit dem Schnabel an den Seiten.
    »Weg da!«, sage ich zu ihr. »Mach das nicht kaputt!« Und verscheuche sie mit einem Fingerschnipsen. Beleidigt kreischend flattert sie auf die Gardinenstange, aber da oben bleibt sie nicht lange sitzen, sondern landet im Gleitfl ug auf dem Kleiderschrank, wo sie sich, wer weiß, womit, zu schaffen macht.
    Ich nehme das Album wieder und drehe es hin und her. Der Sittich hat da irgendetwas zerknabbert, hat an einer zweiten Stelle die Doppelseiten voneinander gelöst. Dazwischen befi ndet sich zwar kein Bild, aber irgendein Pappkärtchen mit der freien Seite zum »Fenster«. Lora hat es halb vorgezerrt bei ihrer Spielerei. Sicherwar es als Unterlage für ein Foto gedacht, das wohl jemand entfernt hat. Ich versuche, es wieder hineinzustopfen, aber meine Finger sind unsicher. Also ziehe ich es ganz heraus, damit es nicht aus dem Album guckt, wenn man es schließt.
    Die Rückseite ist bedruckt. Eine dicke, protzige Schrift. Ich lese:
     
    PREMIERE! PREMIERE! PREMIERE!
    SONNTAG DEN 2. JANUAR 1910 PÜNKTLICH 9 UHR CHAIM IN AMERIKA
    KOMÖDIE IN VIER AKTEN VON ROLF MARX IN BEWÄHRTER BESETZUNG
     
    Und dann steht da, noch dicker, noch protziger:
     
    DEUTSCH-JÜDISCHES KÜNSTLER-THEATER
    JONAS LASKAROW
    GRENADIERSTRASSE 32

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    Lasker-Laskarow stand auf der Rückseite des Fotos. Leo und Jonas. Und Künstler-Theater Laskarow war auf dem Pappkärtchen zu lesen.
    Leonie spürt ein feines Kribbeln in ihren Fingerspitzen. Da ist sie, die Spur! Das muss sie sein. Großvater Leo hatte tatsächlich einen Zwillingsbruder.

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