Drei Zeichen sind ein Wort - Band 1
Chuzpe! So eine Dreistigkeit! Freche Göre!«
Ich fahre herum, vor Schreck bleibt mir fast das Herz stehen. Wahrscheinlich habe ich auch aufgeschrien. Wie kann jemand so leise gehen!
Mit verschränkten Armen, das Kinn hochgereckt, lehnt er an der Wand des Flurs und mustert mich mit einem Blick, der weniger empört ist als neugierig und amüsiert. Seine Augen – solche Augen haben mich noch nicht angesehen, solange ich lebe. Tiefschwarz und leuchtend unter sehr dichten Brauen.
Natürlich. Auf den haben die Mädchen da unten gewartet.
Er löst sich von der Wand, geht an mir vorbei in die Garderobe und gibt mir mit dem Kopf einen Wink, ihm zu folgen, dann macht er die Tür zu.
»Wenn du nun schon einmal hier bist, bringen wir’s hinter uns«, sagt er. Er setzt sich an den Garderobentisch und holt mit schwungvoller Bewegung einen Füllfederhalter aus der Jacketttasche, schraubt ihn auf und streckt die Hand nach mir aus. »Na?«
»Was, na?«, stammele ich. Es ist das Erste, was ich sage.
»Wo ist dein Kärtchen? Oder dein Album, wo’s rein soll, das Autogramm?«
»Aber ich – ich hab nichts«, sage ich. Er sieht zu mir auf, runzelt die Brauen. Ich schnappe nach Luft. Solche Augen unter solchen Wimpern ... so etwas dürfte es gar nicht geben.
»Nicht dass ich jetzt auch noch selbst Zettel mitschleppen soll für euch Puppchen«, sagt er ärgerlich. Dann ein kleines Lächeln. Es ist kaum mehr als ein Verziehen der Mundwinkel, aber sofort scheint der ganze Mensch zu leuchten. »Wenn du nicht so hübsch wärst, hätte ich dich schon rausgeschmissen. Dann gib mal deine Hand her. Wie heißt du? Bloß der Vorname.«
Ich habe keine Ahnung, was er machen will. »Leonie«, murmele ich und strecke gehorsam die Rechte aus.
»Nicht doch, die Herz-Hand«, sagt er und schüttelt seinen Füller, bis ein dicker Tropfen Tinte an der Spitze hängt. Dann sagt er, mehr zu sich selbst: »Aber das ist ja Mesummes. Blödsinn.«
Er schraubt den Füllfederhalter wieder zu, legt ihn beiseite, greift meine Hand und legt sie flach auf den Garderobentisch. »Schön stillhalten!« Seine Augen blitzen.
Er greift sich einen dünnen Schminkpinsel, nimmt ihn in den Mund und feuchtet ihn auf diese Weise an, dann fährt er damit in einen Topf voll roter Farbe, Lippenrot, Karmin.
Der Pinsel malt auf meinen Handrücken ein Herz. Da hinein schreibt er: Für Leonie! Und dann, sehr schwungvoll, schräg vom Gelenk bis zum Ansatz des Zeigefi ngers: Schlomo Laskarow.
Ich schaue herab auf meine Hand und daneben auf diesen Kopf voll glänzender dunkler Locken; er trägt das Haar länger, als es üblich ist.
»So«, sagt er dann. »Nun kannst du dir überlegen, wann du dir die Finger wieder waschen willst oder ob du dir lieber Handschuhe anziehst für den Rest deines Lebens.«
Seine Stimme ist voll Spott. Wenn er richtig lächelt, so wie jetzt, hat er ein Grübchen auf der Wange. Ich sehe, er ist überhaupt nicht wirklich hübsch! Es sind nur die Augen. Seine Nase ist zu kurz, an der Spitze ein bisschen verdickt, Knubbelnase nennt man das. Undals er nun aufsteht, wird deutlich, dass er nicht einmal so groß ist wie ich.
»Jetzt aber raus mit dir!«, bemerkt er und hält mir die Tür auf. »Wenn mein Vater kommt, gibt es Zores. Er hat was gegen Ischen in der Garderobe.«
Ischen – das soll wohl Mädchen heißen.
Mesummes, Ischen, Zores. Wie das Jiddische aus dem Mund dieses Burschen klingt. Es hört sich exotisch und klangvoll an.
Irgendwie bin ich dann auf die Sophienstraße gelangt. Die Schlange vor der Kasse ist noch größer als vorhin. Ich sehe meine linke Hand an. Darauf trage ich ein Autogramm vom Star des Jüdischen Theaters in den Sophien-Sälen. Abisalom, junger Held. Schlomo Laskarow. Mein Vetter.
8
Diesmal liegt Harald Lasker noch nicht im Bett, als Leonie nach Haus kommt. Er hat sich wohl große Sorgen gemacht. Er kommt aus dem Wohnzimmer, als sie die Tür aufschließt. »Warum bist du so spät dran?«
»Gleich, Papa.« Leonie schlüpft an ihm vorbei in die Toilette und lässt sich Zeit, bis sie auftaucht. Als sie sich dann dem Vater gegenüber an den Tisch setzt, hat sie sich so ausgiebig die Hände geschrubbt, dass ihre Linke ganz rot ist.
Stumm sitzen sie sich gegenüber. Lasker trommelt nervös mit den Fingern auf die Tischplatte. Leonie wirkt abwesend.
»Also, was ist passiert?«
»Passiert? Gar nichts. Ich bin zu Fuß nach Haus gegangen, um das Geld zu sparen«, erwidert sie und blickt ihn nicht an.
»Und? Hast du was
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