Drei Zeichen sind ein Wort - Band 1
sagt: »Was kann ich für Sie tun, schejnes Fräulein?«
»Ach«, sagt Leonie, »ich hätte nur gern eine Auskunft. Dies Central-Theater ... hieß das früher vielleicht einmal Deutsch-Jüdisches Künstler-Theater? Es soll da drüben gewesen sein.« Sie deutet hinaus auf die andere Straßenseite.
Der Buchhändler nuckelt an seiner Zigarre. Dann schüttelt er den Kopf. »Central-Theater gibt’s erst seit einem Jahr. Und solangeich hier bin, war da drüben nix. Gar nix von Theater. Wollen Sie kaufen Karte für Central-Theater, schejnes Fräulein? Stück ist sehr rührend. Was fürs Herz.«
»Ich weiß nicht«, erwidert Leonie verlegen, »eher wohl nicht. Gibt es denn noch andere jüdische Theater hier in der Gegend?«
Der Mann sieht sie an, als wäre sie vom Mond gefallen. »Ob es gibt noch andere?«, wiederholt er. Dann nimmt er seine Finger zu Hilfe, um vorzurechnen. »Also, da haben wir Concordia-Theater in Brunnenstraße, Fröbels Allerlei-Theater in Schönhauser Allee, Quargs Vaudeville-Theater am Alexanderplatz, Theater des Cent- rums am Ende von Grenadierstraße, Palast-Theater in Burgstraße, Prachtsäle in Blumenstraße ...« Er hält inne, verdreht die Augen nach oben und überlegt.
»Alles jüdische Theater?«, fragt Leonie nach. Sie glaubt, ihren Ohren nicht zu trauen.
»Was sonst? Kommen Sie aus Provinz, schejnes Fräulein?« Er grinst.
»Aber die stehen doch gar nicht auf den großen Theaterankündigungen und in keiner Zeitung!«
Jetzt lacht der Händler unverhohlen und zeigt ein paar gelbe Zähne. »Wozu auch? Da geht doch nebbich keiner hin außer unsere Leut!«
Leonie holt tief Luft. Ein letzter Versuch. »Sagt Ihnen in dem Zusammenhang der Name Laskarow etwas?«, fragt sie zaghaft.
Nun grinst er wieder. Irgendwie anzüglich. Er nimmt sogar die Zigarre aus dem Mund und mustert sie von Kopf bis Fuß. »Wozu die Umwege, schejnes Fräulein? Sagen Sie doch gleich, dass Sie wegen Laskarow fragen. Alle Mädchen sind ganz verrückt wegen Laskarow. Der arbeitet nicht mehr hier in die finstere Medine. Laskarow ist in Sophien-Sälen, großes Theater, sehr nobel. Großer Erfolg. ›Sulamith‹ läuft noch bis Ende Monat. Sehr schejnes Stück. Wollen Sie Billet?«
»Nein, danke«, entgegnet Leonie und stolpert hinaus.
7
Die Grenadierstraße weiter herunter, Münzstraße dann, Alte Schönhauser, Sophienstraße.
Meine Füße tragen mich wie von selbst, und diese befremdliche Umgebung – wie hat der Mann es genannt: finstere Medine; ja, finster ist die Gegend wirklich –, ich nehme sie gar nicht wahr.
Laskarow gibt es. Laskarow macht Theater. Theater seit mindestens 1910. Die Familie ist da ! Die Familie ist gefunden! Heureka! Auf wen ich da wohl stoßen werde? Auf den »Jungen« von der Fotografi e, Jonas, den Zwillingsbruder des Großvaters? Der wäre ja dann jetzt ein steinalter Mann. Eher treffe ich wohl auf einen Nachfahren, den Cousin von Papa, einen Onkel, und ich bin seine Nichte ...
Und meine Suche nach Isabelles Buchstaben hat einen neuen Ort gefunden – in unserer Wohnung in Neukölln konnte er ja kaum sein.
Mehr als ein Stein ist mir vom Herzen gefallen, dass ich mich bei meinen Nachforschungen nicht weiter mit diesem Viertel der armen Leute, der Ostjuden, der käufl ichen Mädchen und Freier verstricken muss. Sophienstraße in der Nähe vom Hackeschen Markt, das ist doch schon ein anderes Gelände, rund um die Hedwigskirche und in der Nähe der Synagoge.
Das Theater ist im Handwerkervereinshaus, einem großen Gebäude aus rotem Klinker, in der Mitte ein breiter Tordurchgang, in dem alte Zunftzeichen hängen. Das Entree des Theaters ist bereits hell beleuchtet. Ja, es ist Abend geworden, und eigentlich muss ich nach Haus, damit sich mein Vater keine Sorgen macht. Aber dass ich tatsächlich entdeckt habe, wonach ich suchte, hat mich ungeheuer aufgeregt; ich muss zumindest noch einen Blick auf das werfen, was hier geschieht.
Ich trete näher. Und da sehe ich das Plakat für die laufende Vorstellung. Es hängt gleich neben dem Torweg. Die Buchstaben in der gleichen wuchtigen und gewichtigen Art wie die auf dem alten Kärtchen, das ich im Album gefunden habe . »SULAMITH, EIN STÜCK IN VIER AKTEN«. Dann der Besetzungszettel: Menoah, ein Bürger in Bethlehem = M. Laskarow. Abisalom, ein junger Held = S. Laskarow. Sulamith = M. Minas.
Ich zittere vor Anspannung. Also zwei unbekannte Verwandte von mir ... von meinem Vater, von Isabelle ... stehen heute auf der Bühne da drinnen. Und
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