Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Drei Zeichen sind ein Wort - Band 1

Titel: Drei Zeichen sind ein Wort - Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
Vom Netzwerk:
Dann kommt er zögernd näher. Sein Gesicht unter dem Schirm der Ballonmütze ist blass, seine Augen sehr groß.
    »Entschuldigung, Frollein«, sagt er schließlich zaghaft. »Kann ich vielleicht – kann ich vielleicht von Ihrer Stulle die Rinde haben?«
    Leonie versteht erst nicht. »Die Rinde? Willst du die Enten füttern?«
    Das Kind senkt den Kopf. »Es is bloß«, sagt er leise, »Mutter hat nix im Küchenschrank. Ick hab seit jestern nix jegessen.«
    Leonie wird rot vor Scham.
    »Um Gottes willen!«, flüstert sie. Sie nimmt die zweite Schnitte aus dem Papier, hält sie dem Jungen hin. »Hier, Kleiner. Nimm. Ich hab sowieso keinen Hunger mehr!«
    Der Junge greift so hastig zu, als hätte er Angst, sie würde es sich noch einmal überlegen, und vergräbt seine Zähne in dem Brot. Erkann nicht einmal Danke sagen. Sie steht auf und verlässt ganz schnell den Park.
    Wie gut es uns doch noch geht!, denkt sie. –
    Es will und will nicht Abend werden. Sie läuft durch die Straßen der Stadt. Unversehens haben sie ihre Füße auf bekannte Wege getragen. Auf einmal ist sie vor ihrer alten Schule nahe der Holzmarktstraße gelandet. »Mittelschule für Mädchen« steht über der großen, grün gestrichenen Doppeltür, durch die sie so lange an sechs Tagen der Woche gegangen ist. Sie macht einen Augenblick halt, besieht sich das Gebäude, diesen Klotz aus Backstein, und sie meint, den unverwechselbaren Geruch zu spüren, diese Mischung aus Bohnerwachs, Kreide und Desinfektionsmittel.
    Es ist ein für alle Mal vorüber.
    An einem Zeitungskiosk liest sie im Vorübergehen die Schlagzeilen: »Schwache Regierung knickt ein vor Forderungen der Groß industrie«. – »Victoria Regia blüht im Botanischen Garten«. Na, das ist im Augenblick nicht ihr Problem.
    Der Gedanke an das, was sie wohl heute Abend erwartet, treibt sie irgendwie vorwärts, lässt sie immer schneller gehen. Bald gerät sie fast ins Laufen, durch irgendwelche Straßen.
    Wie wird das wohl werden? Wie wird dieser Schlomo Laskarow auf der Bühne sein – mit dem Blechschwert in der Hand, das sie in der Garderobe gesehen hat? Sie verliert sich in Träumereien. Manchmal streicht sie gedankenverloren über ihre linke Hand, die sie allzu sauber gewaschen hat. Weg das Herz. Weg: Für Leonie. Weg der Namenszug. Aber bald sieht sie ihn ja ...
    Dann bekommt sie einen Schreck. Die Uhr des Roten Rathauses zeigt schon fast sieben. Erst verging die Zeit nicht, jetzt ist sie knapp. Sie hat sich richtig »verrannt«, muss die U-Bahn nehmen, wenn sie noch rechtzeitig in der Sophienstraße sein will. Sie steigt am Bahnhof Klosterstraße ein. Es ist voll, an einen Sitzplatz ist nicht zu denken. Muss auch nicht sein, sie ist ohnehin zu kribblig.
    Die Leute riechen nach dem Schweiß eines ganzen Tages um diese Stunde und reden laut und ungeniert. Kurz bevor sie denWagen verlässt, hört sie jemanden, wohl schon leicht angetrunken, nuscheln: »Und die Göre von Fritz jeht doch tatsächlich mit ’nem Juden! Na, wenn det meine wäre!«
    Sie zuckt zusammen, ist froh, dass sie aus der Bahn kommt. Bloß weg und dann dorthin, wo sie hinwill!
    Sie schafft es rechtzeitig. Ungefähr zur gleichen Stunde wie gestern steht sie vor dem Handwerkervereinshaus in der Sophienstraße. Wieder sieht sie einen Knäuel junger Mädchen, die sich am Seiteneingang eingefunden haben, geht über den Hof zum Haupteingang und stellt sich brav an der Kasse an, die überhaupt nicht wie eine normale Theaterkasse aussieht. Hinter einem Tresen in der Vorhalle sitzt eine wohlgenährte Person von vielleicht vierzig Jahren, am freizügigen Dekolleté funkelt eine große Brosche, die nicht gerade echt wirkt. Die Dame ist ein bisschen zu stark geschminkt, was vielleicht daran liegt, dass sie ein kleines Bärtchen auf der Oberlippe kaschieren muss. Ihr gebleichtes Haar wächst am Ansatz dunkel nach. Auf dem Tisch stehen eine Geldkassette, eine Rolle mit Abrissbillets, wie es sie auch im Kino gibt – und eine Küchenwaage, den »Preis« abzuwiegen.
    Langsam, viel langsamer als bei einem Kartenverkauf herkömmlicher Art, schiebt sich die Schlange vorwärts. Die Frau hinter dem Tresen nimmt es sehr genau mit dem Abwiegen. Wenn sie den Gegenwert für ein Billet als ausreichend befunden hat, verschwindet die Ware irgendwo zu ihren Füßen, die Karte wird abgerissen und mit einer Notiz versehen, wahrscheinlich, in welcher Preisgruppe der erworbene Platz sich befi ndet.
    Als Leonie an der Reihe ist, holt sie ihre Mehltüte

Weitere Kostenlose Bücher