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Drei Zeichen sind ein Wort - Band 1

Titel: Drei Zeichen sind ein Wort - Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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und jenen Locken zu beiden Seiten des Gesichts, wie sie die Zwillinge auf dem Foto hatten.
    Vor Schreck duckt Leonie sich ein bisschen, aber dann merkt sie, dass diese Männer sie gar nicht zur Kenntnis nehmen. Sie ist da rein zufällig hineingeraten, in irgendein großes Palaver. Die reden aufeinander ein, beinah ekstatisch, gestikulieren, gehen in kleinen Schritten umeinander herum. Es sieht aus wie ein merkwürdiger Tanz. Absurdes Theater.
    Und wie sie reden! Ist das nun Deutsch oder nicht? Offenbar dies Jiddisch, von dem Isabelle gesprochen hat. Leonie versteht nur jedes zweite Wort. Sie bahnt sich einen Weg durch die diskutierendeMännergruppe. Will weiterkommen. Aber nur ein paar Schritte und wieder ist es genauso voll in der engen Gasse.
    In diesem Viertel scheint sich das Leben draußen abzuspielen. Frauen sitzen auf den steinernen Eingangsstufen der Häuser oder auf klapprigen Stühlen, die sie sich vor die Tür geholt haben, Kinder mit Reifen oder Bällen toben johlend und kreischend herum und laufen allen vor die Füße, Geschäftsinhaber, die Hände unter der grünen Schürze verschränkt, bärtig unterm Filzhut, stehen vor ihren Läden und werben marktschreierisch um Kundschaft – ein Höllenlärm, ein Höllendurcheinander.
    Was für ein Kontrast zu Isabelles Turmstube! Die leuchtenden Farben der Schriften und Wandteppiche, das Silber und der Glanz! Was hat die Welt von Hermeneau mit dem hier zu tun – außer dass die Schriftzüge an diesen Wänden mit den gleichen Buchstaben geschrieben sind wie Isabelles bunt verzierte Pergamente?
    Niemand scheint sie zu beachten. Wie ein Fremdkörper schiebt sie sich durch die bewegte Menge, und eigentlich kehrt sie nur deswegen nicht um, weil sie die Einmündung einer Querstraße vor Augen hat, und sie sieht auf einmal, dass das die Grenadierstraße ist. Dort will sie hin.
    In dieser Querstraße lässt das Gedränge etwas nach und das Bild verändert sich. Die Männer mit den schwarzen Kaftanen und den Hüten sind auf einmal verschwunden. Dagegen gibt es grell geschminkte Mädchen mit gewagten Ausschnitten, die an den Hauswänden lehnen und sie nun allerdings durchaus wahrnehmen. Sie zischen hinter ihr her, sagen leise irgendetwas, was sie nicht versteht. Was wollen die? Erst als zwei junge Kerle sich ihr in den Weg stellen, sie abschätzend mustern und, einen Arm in die Hüfte gestützt, nach dem Preis fragen, begreift sie, um was es geht. Die Frauen sind Prostituierte (sie hat solche Gestalten auf der Bühne gesehen) und die halten sie für eine Konkurrentin und die jungen Kerle sind Freier.
    Ihr ist heiß geworden. Ja, sie hat Angst. Das war wohl doch die falsche Idee, hierherzugehen. Grenadierstraße 32, wiederholt sie in Gedanken, links von der endlos langen Linienstraße. Was soll denndas für ein Theater sein, in dieser Gegend? Schnell noch nachprüfen, ob es hier ein Theater Laskarow gibt, und dann nichts wie weg. Wenigstens will ich mir nicht vorwerfen müssen, ich hätte nicht alles versucht. Gaston, Isabelle – es tut mir leid.
    In der Grenadierstraße 32 ist natürlich nichts, weder im Vorder- noch im Hinterhaus. Da gibt es ein Friseurgeschäft, wo die Damen vor der Tür sitzen, dicke Handtücher um den Kopf geschlungen, und andere lassen sich von zwei dünnen Jungen in Hemdsärmeln mit der Brennschere das Haar ondulieren, und daneben ist eine »Koschere Fleischerei«. (Was auch immer das sein mag.)
    Das war’s. Und nun bloß weg hier.
    Gegenüber ist ein Laden mit einer geschwungenen Inschrift am Schaufenster: »Hebr. Buchladen«, und darunter natürlich die entsprechenden jüdischen Schriftzeichen. Sie tritt näher. Unter der Schrift entdeckt Leonie einen handgeschriebenen Zettel: »Kartenverkauf zum Drama ›Des Vaters Fluch‹ im Central-Theater hier.«
    Also gibt es irgendwo ein Theater.
    Kurz entschlossen drückt Leonie die Klinke und geht hinein. Ein paar Stufen führen abwärts. Man scheint nicht nur mit Literatur zu handeln, sondern auch mit Zigarren und Zigaretten, denn hölzerne Kästchen und Schachteln türmen sich in einem Regal neben den eher spärlich gesäten Büchern. Außerdem ist der Raum so voll von blauem Dunst, dass man kaum durchschauen kann.
    Der einzige Verursacher dieser Einnebelung scheint der Besitzer zu sein, der – Locken an den Schläfen und Hut auf dem Kopf – mit hochgelegten Beinen hinterm Verkaufstisch sitzt und pafft. Bei Leonies Eintritt blickt er auf, schiebt die Zigarre von einem Mundwinkel in den anderen und

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