Drei Zeichen sind ein Wort - Band 1
erreicht? Lass dir nicht die Würmer aus der Nase ziehen!«, sagt er ungeduldig.
Leonie steht wieder auf und geht an das Vogelbauer heran. »Warum hast du Lora zugedeckt?«, fragt sie.
»Weil es Abend ist und weil sie schlafen muss. Leonie! Rede mit mir!«, mahnt Harald Lasker.
»Ja. Entschuldige. Die Wäsche und die Serviettenringe hab ich in Kommission gegeben. Wie wir’s besprochen haben. Ich geh da lieber jeden Tag hin und frage nach – wegen der Geldentwertung, du weißt schon ...«
»In Ordnung. Und wie sieht es mit einer Arbeit aus? Du hast dich umgesehen?«
»Es gibt noch nicht viel, obwohl einige Theater sogar schon spielen. Ein paar Lustspielbühnen und Kabaretts.« Sie macht eine kleine Pause: »Und die jüdischen Theater.«
Harald Lasker lacht gereizt auf. »Theater! Dass ich nicht lache! Diese jiddischen Schmierenbühnen für die Mauschels aus dem Scheunen viertel kann doch keiner als Theater bezeichnen! Da spielt der Abschaum für den Abschaum!« Und sein Wangenmuskel zuckt. »Du warst doch nicht etwa bei denen?«
»Nein. Ich meine ja nur«, sagte Leonie vage. »Ich bin auch beim Bernhard-Rose-Theater vorbeigegangen, in der Frankfurter. Die spielen ja im Freien. Da soll ich morgen noch einmal vorsprechen, wenn die Chefi n da ist. Und darf mir kostenlos die Vorstellung ansehen.«
(Sie wusste nicht, dass sie so gut lügen kann.)
»Gut«, sagt der Vater. Er wirkt befreit. »Das Rose-Theater, das ist gutes deutsches Volkstheater. Keine große Kunst, aber solide. Ich drücke dir die Daumen.« Er erhebt sich. »Willst du noch zu Abend essen, meine Kleine?«
»Nein, Papa. Ich bin einfach nur müde.«
Leonie schlingt ihrem Vater die Arme um den Hals und küsst ihn stürmisch. Sie hat ein schlechtes Gewissen. Dann schließt sich die Tür hinter ihr.
Ich sitze auf meinem Bett und starre vor mich hin. Irgendwann muss ich in aller Ruhe mit meinem Vater reden. So geht das nicht weiter. Man kann doch nicht mit jemandem zusammenleben und ständig mit ihm Versteck spielen. Denn natürlich werde ich die Spur weiterverfolgen, wie es mir aufgetragen ist.
Ich versuche, die Erlebnisse des Tages zu sortieren.
Der Albtraum dieses Scheunenviertels – das kann doch nie und nimmer eine Welt sein, mit der Isabelle Laskère auch nur im Geringsten zu tun hat! Und ich auch nicht. Wenn ich daran denke, wie ich durch diese Hirtenstraße gegangen bin, schüttelt es mich. Dass ich mich jemals danach sehnen könnte, da hineingezogen zu werden, nein, das kann doch niemand annehmen! Diese schreienden, gestikulierenden, durcheinander redenden und fremdartig anzuschauenden Leute! Was habe ich damit zu schaffen? Und umgekehrt – ich kann mir nicht vorstellen, dass man dort irgendwo soeine Sabbatfeier erleben kann wie auf Hermeneau. Das sind dann wohl die Unterschiede zwischen Sepharden und Aschkenasen, die mir Isabelle erklärt hat. Aber wo sollen die Gemeinsamkeiten sein? Wenn Judentum so ist, dann kann ich verstehen, warum mein Vater sich davor verschließt.
Ich dachte an etwas Besonderes. Etwas, das einen heraushebt aus der Menge. Wie eben auch: Schauspieler zu sein. Ein bisschen bewundert, ein bisschen voll Misstrauen angeschaut. Dagegen ist ja nichts einzuwenden. Aber doch nicht an etwas, was einen ausgrenzt!
Schauspieler sein.
Ich schließe die Augen. Musste am Waschbecken in der Toilette erst die Vaseline gegen trockene Lippen nehmen, um die Schrift von meiner Hand zu entfernen. Theaterschminke geht nur mit Fett ab. Abisalom, junger Held. Dass man mit solchen Augen herumlaufen darf ...
Ich merke, dass mein Atem schneller geht. Wenn ich daran denke, dass der Kerl den Pinsel in den Mund gesteckt hat, um etwas auf meine Hand zu schreiben, wird mir heiß und kalt. Die dunklen Locken da an dem Schminktisch dicht vor mir ... Wie hat der eigentlich gerochen? Ich hebe meine Hand an die Nase. Aber da ist nichts mehr. Ich habe zu gründlich geschrubbt.
Ich muss ihn sehen. Muss sehen, wie der auf der Bühne ist.
Wenn ich Glück habe, wird die Wäsche morgen schon verkauft. Dann kann ich etwas abzweigen für mich und »Naturalien« für ein Billett besorgen. Sonst – muss ich Vaters Küche plündern. Das ist nicht einfach, er weiß genau Bescheid über unsere Vorräte. Hab mir die »Preise« der Sophien-Säle genau gemerkt. Die letzte Reihe im Parkett genügt vollständig. Aber ansehen muss ich mir das. Wenigstens einmal.
Muss mir angucken, was sie machen, meine Verwandten. Wie groß die Familie wohl ist? Vater und
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