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Drei Zeichen sind ein Wort - Band 1

Titel: Drei Zeichen sind ein Wort - Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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aus der Tasche, legt sie auf den Tisch und will gerade »Bitte letzte Reihe!« sagen, als die Kassiererin die Lider hebt, um sie anzusehen.
    Leonie bleibt das Wort im Halse stecken.
    Die nachtschwarzen, glänzenden Augen, Wimpern wie Pfeile unter dichten Brauen – Schlomo Laskarows Augen. Dass es so etwas zweimal gibt auf der Welt ... Das muss seine Mutter sein! Ihre Tante also.
    Aber auch ohne dass sie redet, geht alles seinen Gang. Die Tütewird auf die Waage gestellt, auf einem Zettel notiert, was sie abgegeben hat, das Billet wird abgerissen und beschriftet, und sie hört: »Gilt aber nur für die beiden hintersten Reihen, Fräuleinchen!« Sie nickt, bringt ein heiseres »Danke!« hervor und geht zum Einlass, wo ein Junge mit Schiebermütze und kalter Zigarette im Mundwinkel einen Riss in den oberen Rand der Karte macht und ebenfalls noch einmal darauf hinweist, dass diese nur für die beiden hinteren Reihen gilt.
    Wie ein bisschen betäubt sucht sich Leonie ihren Platz; als erfahrene Theatergängerin nimmt sie, falls es kein Stehparkett gibt, immer letzte Reihe, weil man da, wenn man will, aufstehen kann, um alles zu sehen. Gerade noch rechtzeitig strebt sie darauf zu; in dieser Preisklasse gibt es noch mehr gewiefte Leute, die wissen, dass rechtzeitiges Erscheinen nötig ist. Aber sie fi ndet schließlich einen Sitz in der Mitte.
    Programmheft zu »Sulamith« gibt es nicht, so beguckt sie sich den schönen Saal mit der rundumlaufenden Galerie und die Besucher. Das ist ja ein ganz stattliches Haus!, stellt sie erstaunt fest. Langsam füllt sich der Zuschauerraum, und es macht ihr Spaß zu beobachten, was für ein Publikum sich einfi ndet. Hier geht’s ganz anders zu als in einem »Staatstheater«. (Männer in langen Kaftanen sieht sie nicht. Die scheinen nicht ins Theater zu gehen.) Das sind ihrer Meinung nach hauptsächlich Kaufl eute oder kleine Angestellte mit ihren Freundinnen, die sich einfi nden, aber auch ältere Frauen, die allein gekommen sind. Viele kennen sich untereinander und begrüßen sich laut und lebhaft. Überhaupt ist alles viel weniger gedämpft als in anderen Häusern vor Beginn der Vorstellung. Man lacht, lärmt, wirft sich durch die Luft Süßigkeiten zu, raschelt sogar mit Butterbrotpapier, die Verschlüsse von Bierfl aschen werden mit dem typi schen »Plopp« geöffnet, und es wundert sie nicht, als hier und dort dünne Rauchfähnchen aufsteigen. Man steckt sich ungeniert eine an.
    Es sind mehr Frauen als Männer, die den Saal füllen, Alt und Jung gemischt. Auf den hinteren Reihen ist man in dunkle Kleider gehüllt, billige Stoffe. Sonst sind fast alle aufs Schönste herausgeputzt.
    Vorn im Parkett trägt die eine oder die andere sogar Pelzstola. In den Logen erscheinen junge Frauen in aufreizend ausgeschnittenen Kleidern und Federboas – Leonie kommt es so vor, als hätte sie die eine oder die andere davon gestern gesehen, in der Grenadierstraße, an der Wand lehnend. Man begrüßt sich mit Quietschen und schmatzenden Küsschen, öffnet auch mal eine Bonbonniere. Und dann die jungen Mädchen! Viele junge Mädchen, kichernd und tuschelnd und kreischend ... Wie auf dem Jahrmarkt!
    Der Saal wird voll bis auf den letzten Platz. Sind das nun alles Juden? Oder gehen auch andere Leute in so eine Art von Theater? Jedenfalls, das stellt Leonie fest, benimmt man sich hier ganz anders als im »normalen« Schauspiel. Sie ist inzwischen aufgekratzt und voller Erwartung, was das wohl werden soll.
    Als das Licht ausgeht, ertönt ein allgemeines »Ahh!«, als wäre man in einer Kindervorstellung von »Hänsel und Gretel«. Es wird still, und dann hebt sich der rotsamtene, mit großen Fransen verzierte Vorhang und enthüllt eine Bühne von solcher Pappmaché- Herrlichkeit, dass Leonie beinah losgelacht hätte. So primitiv gemalte Kulissen hat sie, die Besucherin der noblen Häuser, bisher noch nie gesehen – nicht einmal im »Großen Saal« einer Kneipe am Müggelsee oder einem anderen Ausfl ugslokal mit »Bühne«, wo sie sich im Sommer manchmal eine Amateuraufführung angeguckt hat! Ein Hintergrundprospekt mit Bergen, zwei Seitenteile mit Palmen davor. In der Mitte steht eine schlecht kaschierte Tonne, sie soll wohl einen Brunnen darstellen.
    Dann die nächste Überraschung: Musik. Aus den Kulissen hört man die Klänge eines verstimmten Klaviers. Ein paar Leute in Sandalen und wallenden Gewändern, die Männer mit angeklebten Bärt en und die Frauen mit Kopftüchern, Pilgerstäbe und Bündel in

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