Drei Zeichen sind ein Wort - Band 1
fort, die nicht mehr frisch sind. Alles dauert keine zehn Minuten. Sie bemerkt mit Genugtuung, dass die Hausherrin, vorgeblich in ihr Rätsel vertieft, sie mit Verblüffung beobachtet.
»So«, sagt Leonie freundlich, »ich spüle dann mal, wenn Sie gestatten.«
Madame kann nur nicken.
In dieser Wohnung gibt es einen Boiler! Man muss nicht mühsam Wasser auf dem Herd warm machen, sondern braucht einfach nur den Hahn aufzudrehen! Wunderbar. Sie füllt zwei Becken mit Wasser, tut in das eine Seifenfl ocken, in das zweite ein paar Spritzer Essig zum Klarspülen und beginnt mit der Arbeit. Es macht ihr Spaß, vor allem die erstaunten Blicke in ihrem Rücken machen ihr Spaß.
»Hast du Hauswirtschaft gelernt, Puppchen?«, fragt die Laskarow schließlich.
»Nein!«, erwidert sie fröhlich. »Aber mein Vater ist Koch. Daher weiß ich, wie man ordnet.«
»Du scheinst ja eine wahre Perle zu sein!«, bemerkt die Madame. Es klingt zwar immer noch ein bisschen spöttisch, aber sie ist offensichtlich beeindruckt.
(Wann wohl »ihre Männer« kommen werden? Leonie wird langsam kribblig.)
Als sie bei den Töpfen ist, hört sie hinter sich eine unverkennbare Stimme: »Was haben wir denn da?« Auch diesmal hat sie sein Kommen nicht gehört.
Sie hat ja drauf gewartet, aber trotzdem durchfährt es sie vom Kopf bis zu den Zehen. Ein Glück, dass sie nicht mehr beim Porzellan ist, sonst hätte sie wohl was zerbrochen – und ein Glück, dass sie mit dem Rücken zu ihm steht. Bestimmt ist ihr die Röte bis unter die Haarwurzeln geschossen. Ihr Atem geht schneller.
»Eine Hilfe für mich, bis ich eine neue Küchenfee finde«, sagt Madame, und Leonie registriert eine Folge von schmatzenden Küsschen, die ausgetauscht werden. »Und fürs Theater auch. Das Puppchen kann aufräumen, sag ich dir! Ist auch was für die Requisite, ich komm ja nicht nach.«
Leonie trocknet ihre Hände ganz langsam am Küchentuch ab, kriegt ihren Atem unter Kontrolle und dreht sich dann um. »Guten Morgen, Herr Laskarow«, sagt sie ernst.
Der Heldendarsteller Schlomo Laskarow trägt zu dieser frühen Stunde (inzwischen ist es halb zwölf Uhr mittags) einen opulenten Morgenmantel aus dunkelblauem Florsamt und Lederpantoffeln an den Füßen. (Er ist noch kleiner, als sie ihn in Erinnerung hatte.) Seine Locken sind garantiert noch nicht gekämmt. Leonie bekommt einen der Flammenblicke, aber keine Antwort auf ihren Gruß. Ob er sie wiedererkannt hat? Wenn ja, lässt er es sich nicht anmerken. Er wird ja auch genug anderen Mädchen Autogramme gegeben haben in der Zwischenzeit. Er wendet sich ab, setzt sich an den Tisch, sieht auf die Gedecke und bemerkt: »Hast du das alles so schön hergerichtet, Mamele?«
»Nein, sie !«, entgegnet das Mamele und schenkt dem Heldendarsteller Kaffee ein. »Soll ich dir schmieren e Beigel?« (Fürsorge von vorn bis hinten.)
»Du weißt doch, dass ich um diese Zeit noch nichts esse!«, erwiderte er, zieht sich aber dessen ungeachtet die Schüssel mit den Oliven in Knoblauch heran und stopft sich ein paar davon in den Mund; die Kerne spuckt er in die Hand. »Und außerdem, hör auf zu jüdeln, Mame. Wir sind hier nicht unter uns.«
»Gerechter! Ihr jüdelt doch auch!«
»Ja, auf der Bühne, weil das Publikum das so will! Aber nur du stammst hier aus dem Osten! Darum musst du es nicht machen!« Er nimmt ihre Hand und küsst sie mit Schwung.
»Wer sagt dir, dass sie nicht auch ist von unsere Leut?«, fragt Madame Laskarow achselzuckend. Und dann, zu Leonie gewandt. »Bist du e Schickse oder e Jidd, Puppchen?«
Leonie sieht von einem zum anderen. Was soll sie antworten? Schickse, das weiß sie, ist die Bezeichnung für ein nichtjüdisches Mädchen.
Der Heldendarsteller versteht ihr Zögern falsch. In betonter Bühnenhochsprache sagt er spöttisch: »Meine Mutter wünscht zu erfahren, ob du eine Nichtjüdin, gar eine Arierin bist, oder ob du zum Volk der Israeliten zählst?«
Das alles gefällt Leonie gar nicht. Nicht die Art, wie über ihren Kopf hinweg geredet wird, nicht, wie sie ausgefragt wird, und schon gar nicht der übermütig-herablassende Ton des jungen Mannes.
»Das ist doch egal!«, sagt sie ärgerlich. »Ich werde hier meine Arbeit machen, bitte sehr, und Sie können in Ihrer Küche so reden, wie Sie wollen. Da brauchen Sie sich meinetwegen bestimmt nicht den Mund zu verrenken.«
Sie dreht sich um und beginnt mit dem Abtrocknen, und hinter ihr ist es still; ob sich Mutter und Sohn vielleicht pantomimisch über
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