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Drei Zeichen sind ein Wort - Band 1

Titel: Drei Zeichen sind ein Wort - Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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ihre Antwort austauschen, sei dahingestellt.
    Aber ehe es in dieser Tonart weitergehen kann: Auftritt des Theaterchefs, des Prinzipals. Direktor M. Laskarow ist ebenfalls in irgendein Morgengewand gehüllt, allerdings in dezentem Braun. Leonie sieht zum ersten Mal sein ungeschminktes und nicht vom Bart zugeklebtes Gesicht. Dass sein Sohn die Augen nicht von ihm hat, das stand ja schon mal fest. Aber auch sonst gibt es wenig Ähnlichkeitzwischen den beiden, bis auf die ein bisschen zu kurz geratene Nase. Auf alle Fälle ist er einen halben Kopf größer als Schlomo, und wenn er nicht so auf Haltung achten würde, könnte man vielleicht vom Hauch eines Bauchansatzes unter dem Morgengewand reden. (Auf der Bühne war davon jedenfalls nichts zu sehen.) Eifrig sucht Leonie nach Zügen, die auch ihr Vater, sein Cousin, hat, aber da fi ndet sie im Augenblick nichts. Auch insofern schwierig, weil der Herr des Hauses eine Halbglatze hat, umgeben von einem Kranz rötlich blonder Locken.
    Das ist der Mann, Mendel Laskarow, der ihr geschrieben hat: »Ich habe in Berlin keine Meschpoche. Also lassen Sie mich in Ruhe.«
    »Guten Morgen, alle zusammen!«, sagt er mit dröhnender Bühnenstimme – ein Mime, der wohlgefällig seiner eigenen Resonanz nachlauscht. Und dann beginnt man wieder, sich gegenseitig abzuschmatzen, als hätte man sich wochenlang nicht gesehen (Leonie muss sich das Lachen verkneifen).
    Dann erst nimmt er Kenntnis von der fremden Person und mustert sie mit jovialer Freundlichkeit. »Neues Mädchen?«, fragt er seine Frau.
    »Probehalber. Faktotum für Haus und Theater. Sie ist ordentlich!«, stellt die Hausherrin vor. (»Ordentlich« ist eindeutig ein besonderer Vorzug.)
    Leonie beschließt, die Rolle »Junges Mädchen beim Vorstellungsgespräch« zu spielen, wie sie es mal in einer Operette gesehen hat. Also tritt sie vor, macht einen Knicks und sagt: »Herr Laskarow, es wäre mir eine Ehre, für Sie und Ihre Familie arbeiten zu dürfen. Wenn Sie einverstanden wären – ich würde mich sehr freuen. Ich bin eine leidenschaftliche Theatergängerin, und wenn ich irgendwie dazu beitragen könnte, Ihnen Dinge abzunehmen, die Sie daran hindern, Ihre Kunst auszuüben, so wäre es für mich einfach sehr ... sehr schön.«
    Sie registriert, dass der Heldendarsteller in seinem blauen Mantel ihr vom Tisch her einen schrägen, ironisch-anerkennenden Blick zuwirft.
    Der Prinzipal nickt würdevoll. »Scheint ein gutes Mädchen zu sein!«, sagt er zu seiner Frau.
    Er setzt sich und wirft einen Blick über den gedeckten Tisch. (Natürlich schenkt ihm seine Frau gleich Kaffee ein.) Dann sagt er volltönend: »Wo sind die Eier?«
    Leonie erschrickt. Hat sie was vergessen bei dieser Frühstück s- tafel?
    Eilfertig springt sie auf und öffnet einen der Kühlschränke (zum Glück ist es der richtige).
    »Wie möchten Sie die Eier?«, erkundigt sie sich. »Gekocht, gebraten?«
    »Gar nicht!«, sagt der Prinzipal fast unwillig, und der Heldendarsteller grinst.
    »Gib einfach her, Puppchen!« (Puppchen scheint die gängige Bezeichnung für »Mädchen« allgemein in dieser Familie zu sein.)
    Etwas unsicher nimmt sie die Eier, drei, vier, fünf, legt sie auf einen Teller und stellt sie auf den Tisch.
    Die beiden Komödianten kicken sie mit der Messerspitze an und trinken sie roh, schlürfen sie genüsslich aus. »Gut für die Stimme!«, erklärt die Hausfrau, während sie sich ein Brötchen greift, es zunächst mit Wurst bestreicht und dann fi ngerdick Marmelade darübergibt.
    An die Frühstücksmanieren ihrer neuen Verwandten wird sie sich erst noch gewöhnen müssen.
     
    Ich bin nun schon zwei Stunden bei der Familie, in dieser Küche, und habe begriffen, dass Frühstücken in diesem Haus ein Prozess ist, der sich über die Mittagszeit hinzieht, bei dem man den ganzen Tag »vorausplant« und wo man bespricht, was anliegt.
    Da ich um keinen Preis etwas davon verpassen will, bitte ich immer, wenn ich eine Arbeit erledigt habe, um Erlaubnis, die nächste ausführen zu dürfen: das Gewürzregal neu ordnen, in der Speisekammer aufräumen (sie ist ein bisschen größer als mein »Lebensraum« zu Haus und ein einziges Chaos), den Herd putzen. Mehrfach werde ich aufgefordert, auch einen Kaffee zu trinkenoder »e Beigel zu greifen«, ein Brötchen, was ich jedes Mal höfl ich ablehne – immer so ein schräger Blick des Heldendarstellers.
    Man sortiert die Post. Während der Prinzipal seine Briefe sorgfältig aufschlitzt, sie bedächtig

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