Dreibettzimmer: Roman (German Edition)
Afropuppe, ein paar Bücher und die Wickelutensilien in eine Art Erste-Hilfe-Tasche.
Unterdessen erfülle ich meine erste Vaterpflicht, reinige Leonies Schnuller und lege sie zum Desinfizieren in den hoteleigenen Vaporisator. Eines habe ich gelernt: Schnuller sind die Geheimwaffe der Eltern im Kampf um einen ruhigen Abend. Außerdem ist dieser Vaporisator leichter zu bedienen als ein römisches Dampfbad: Deckel auf, Schnuller rein, Deckel zu und »Play«.
Während Anne Leonies Locken mit Haarspangen bändigt, erklärt sie uns, dass eigentlich sowieso bald die Schnullerfee kommen und die Schnuller abholen werde. Leonie hat sich schon dazu bereiterklärt, ihre Schnuller bei jener Fee abzugeben – im Tausch gegen ihr erstes Gummibärchen. Anne seufzt. »Fragt sich nur, was schlimmer ist.«
Piep, piep, piep – wir haben uns alle lieb
Um halb sieben schließe ich nervös das Hotelzimmer von außen ab. Ach, wie gern würde ich jetzt eine rauchen! Am Zimmerschlüssel baumelt zur Zierde ein kleiner Schnuller aus Bernstein. Vielleicht sollte ich statt an einer Kippe ein bisschen daran nuckeln – nur zur Beruhigung. Aber bei meinem Glück infiziere ich mich bestimmt mit längst vergessenen Malariaviren, die irgendwelche winzigen, im Bernstein eingeschlossenen Urzeitmücken in sich tragen.
»Wird schon schiefgehen«, murmelt Anne. Da sind wir schon zum zweiten Mal einer Meinung. Sie greift Leonies Hand und marschiert zum Aufzug.
Der Speisesaal des Familienhotels erinnert zum Glück nicht an die Wohnküche bei den sieben Zwergen hinter den sieben Bergen, sondern eher an ein gutes Restaurant, das hauptsächlich von kleinwüchsigen Jägern besucht wird – wegen der Minihochsitze. Zum Glück überwiegen die Stühle in meiner Größe.
Am runden Tisch von Hoteldirektorin Sommer, dem größten im Speisesaal, haben etwa zehn Gäste Platz genommen. Vor dem Tisch liegt ein regloser Dackel. Sieht aus wie tot.
Als wir an den Tisch kommen, stehen alle auf – bis auf den Dackel. Leonie, die offensichtlich Angst vor Hunden hat, versteckt sich hinter Annes Bein und klammert die Afropuppe in ihre Armbeuge, als wollte sie das Teil erwürgen.
Frau Sommer ist eine blonde Dame um die fünfzig, deren Gesichtszüge ein seltsames Eigenleben führen: Während der Mund ständig lächelt, irrt ihr Blick im Raum herum, als wollte sie überprüfen, ob wirklich alles perfekt ist. Und sobald ihre rahmenlose Brille über die steile Nase rutscht, zieht Frau Sommer das Gestell durch Ohrenwackeln in die gewünschte Position.
Ich stelle der Runde »meine Frau Anne« und »meine Tochter Leonie« vor. Als Leonie scheu hinter Annes Bein hervorlugt, rufen die Erwachsenen wie aus einem Mund: »Oooh, wie süß!«
Niemand scheint sich zu fragen, ob Anne und ich wirklich verheiratet sind. Oder?
»Sie sieht genauso aus wie der Papa«, stellt ein schwarz gekleideter Mann fest. Auch die anderen Erwachsenen bestätigen einhellig, dass Leonie »meine Augen« habe. Eine ältere Frau, die mir irgendwie bekannt vorkommt, steht sogar auf und begutachtet mich rundum, als wäre ich ein Pferd auf dem Viehmarkt. »Ihre kleinen Ohren hat sie auch.«
Anne presst die Lippen zusammen, bis sie weiß werden. Vielleicht sollte ich ihr später unter vier Augen die Geschichte vom Jägerzaun erzählen. Aber so gut kennen wir uns auch wieder nicht.
Frau Sommer legt ihr die Hand auf den Arm. »Keine Sorge, meine Liebe. Die Kinder sehen am Anfang immer aus wie der Papa. Das hat die Natur mit Absicht so eingerichtet – damit der Vater die Babys nicht totbeißt.«
Anne verzieht keine Miene. »Wenn er das versucht, lege ich ihn um«, murmelt sie.
Frau Sommer lacht, weil sie glaubt, das wäre ein Scherz.
Zuerst lernen wir die »ältesten Gäste« kennen, das Seniorenpaar Eisenstein, stolze Besitzer der Dackelleiche.
»Seit fünfzig Jahren frisch verliebt«, prahlt Herr Eisenstein, als wäre seine Beziehung ein Auto – seit fünfzig Jahren unfallfrei.
»Sehr erfreut«, sage ich.
Mein Gegenüber schaut mich verständnislos an und zeigt dann auf seine haarigen Ohren, in denen Hörgeräte stecken. »Wie meinen?«, fragt er.
»Selber schuld«, nuschele ich und nicke ihm dabei freundlich zu.
Die Oma deutet mit dem Kopf zur Seite: »Das ist unser Arschi!«
Ich sehe erneut zu Herrn Eisenstein. Arschi? Wie redet die denn von ihrem Gatten? Wahrscheinlich verlieren Kosenamen in fünfzig Jahren Ehe einfach an Charme.
»Der Dackel«, erklärt Oma Eisenstein. »Archibald von
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