Dreibettzimmer: Roman (German Edition)
der Sommerwiese. Er ist unser Sohn.«
Annes Gesicht hellt sich auf. »Oooh, wie süß!« Offenbar die traditionelle Begrüßungsfloskel in Familienhotels.
Na, das kann ja heiter werden.
Neben den Eisensteins sitzt Herr Dr. Ainberger, Hotelpsychologe und »Juror des Familiencontests«. Bevor ich nachfragen kann, um welche Art »Contest« es sich hier handelt, verkündet der Psychologe: »Ich weiß, was Sie vorhaben«, während er meine Hand festhält. Ich versuche, mich zu befreien, aber der Griff des Kerls ist wie ein Schraubstock. Mir wird flau im Magen.
Plötzlich verzieht sich sein Mund zu einem Grinsen: »Sie wollen gut essen, in die Sauna gehen und Ihre Frau beglücken, sobald die Kleine eingeschlafen ist!«
Puh!
Erleichtertes Gelächter. Offenbar herrscht hier ein eher lockerer Umgangston. Sehr gut, da habe ich schnell ein paar griffige Zitate für meinen Verriss beisammen. Anne scherzt mit den Kleinen und findet ein paar nette Worte für die Großen. So gelassen habe ich sie in der Redaktion nie erlebt.
Am Tisch wird über das Essen und seine Auswirkungen auf die Beschaffenheit von Kinderkacke ebenso locker geplaudert wie über die Öffnung des Muttermundes während der Geburt. Hier genügt offenbar der kleinste gemeinsame Nenner, um sich zu verbrüdern. Wie auf dem Oktoberfest – nur mit weniger Alkohol.
Als Nächstes lernen wir den Mann in Schwarz und seine Frau kennen. Sie sind tatsächlich Architekten, ihre düstere Kleidung passt gut zu ihren Mienen. Ihr Kind ist dunkelhäutig und etwa in Leonies Alter. Es starrt den Trubel im Speisesaal völlig entgeistert an. Kann ich gut verstehen.
»Das ist der kleine Obi«, sagt sein Vater ernst. Offenbar ist das gerade der afrikanische Trendname.
»Der sieht genauso aus wie der Papa«, feixe ich im Elternplauderton.
Der Architekt schaut mich so entsetzt an, als hätte ich den Hitlergruß gemacht. »Na ja, ist zumindest zu vermuten«, rudere ich zurück. »Übrigens scheint Obi ja ein sehr beliebter afrikanischer Name zu sein …«, beginne ich und verstumme, als der Architekt Anstalten macht, sich zu erheben. Seine Frau legt ihm beruhigend die Hand auf den Arm.
»Obi bedeutet Herz«, presst der Mann mit vor Zorn gerötetem Gesicht heraus. »Unser Sohn kommt aus Nigeria. Sie sollten wissen, dass dort Bürgerkrieg herrscht. Kinder sterben.«
Oje – jetzt haben sie mich auf dem Kieker. Anne wirft mir besorgte Blicke zu. Leonie sieht den Jungen an.
»Obi«, ruft sie und deutet lachend auf ihre dunkelhäutige Puppe. Auch das noch! Wenn sie die jetzt wieder auf den Boden schmeißt, können wir die nächsten vierzehn Tage auf dem Zimmer verbringen, während draußen die Tiroler Antifa Mahnwachen postiert. Das hat Anne nun von ihrer Political Correctness.
Leonie lässt Annes Hand los und stapft zu Obis Kinderstuhl.
»Mama, hoch!«, befiehlt sie. Anne hebt sie hoch, bis Leonies und Obis Gesichter auf gleicher Höhe sind. Leonie schaut Obi an und beugt sich vor.
»Bussi«, sagt sie und drückt ihm einen Kuss auf die Wange. Dann legt sie ihm die Puppe auf den Schoß. Obi erwacht aus seiner Starre, sieht Leonie an und lächelt. Das steckt die ganze Tischrunde an. Nur ich verspüre den dringenden Wunsch, Leonie den Umgang mit Jungs zu verbieten. Für die nächsten vierzig Jahre.
Die ältere Frau, die mir so bekannt vorkam, ist Chefredakteurin einer Münchner Frauenzeitschrift. Wahrscheinlich verbringt sie einen Großteil ihrer Arbeitszeit auf Pressereisen, denn ihr Teint glänzt so weich gezeichnet wie der eines Covermodels.
Neben ihr sitzt Familie Fröhlich, die aussieht, als wäre sie einem Werbefilm des Familienministeriums entsprungen oder einer Sparkassenanzeige. Der Vater ähnelt einer jüngeren Ausgabe von Peter Löwenzahn, die Mutter eher Reese Witherspoon. Ihr Sohn Paul scheint etwas älter zu sein als Leonie, er trägt Sommersprossen, eine kecke Igelfrisur und grinst brav. Kleiner Schleimer. Das ältere Mädchen, vielleicht ist sie fünf, haben die Eltern passenderweise Paula genannt. Sie trägt Pippi-Langstrumpf-Zöpfe und blättert in einem dicken Wälzer, wahrscheinlich »Harry Potter«. Ich schaue auf das Cover. »Schuld und Sühne« von Fjodor M. Dostojewski.
»Unsere treuesten Stammgäste und die ersten Träger des Goldenen Bubsi«, verkündet Direktorin Sommer, als hätten die Fröhlichs den Friedensnobelpreis gewonnen.
»Des was?«
Pippi Blondzopf klappt ihren Schmöker zu. »Des Bubsi. So heißt der wichtigste Ötztaler
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