Dreibettzimmer: Roman (German Edition)
Pädagogikpreis, die Trophäe des Familiencontests in diesem Hotel«, erklärt sie mit besserwisserischem Zähneblecken, für das ich ihr vor fünfundzwanzig Jahren meinen Kaugummi ins Haar geschmiert hätte.
Frau Sommer sieht sie mit wohlwollendem Blick an. »Die Familien beweisen sich in Disziplinen wie Erziehungspädagogik, Ernährung, Bekleidung funktional, positive Konfliktbewältigung, Strapazierfähigkeit, Multitasking oder Bewegung. Der Psychologe beurteilt, wie gut die Familie die verschiedenen Herausforderungen des Alltags bewältigt. Wie die Super-Nanny. Niemand weiß, was und wann gewertet wird.« Frau Sommer wirft einen verschwörerischen Blick zu Psychologe Ainberger. »Der Wettbewerb beginnt in dem Moment, in dem man erklärt, daran teilzunehmen. Er läuft während des Aufenthalts im Hotel ›Zum Wilden Mannle‹ gewissermaßen im Hintergrund. Fast alle unserer Gäste machen mit. Viele Familien reisen sogar extra dafür an.«
Für mich wäre das eher ein Grund, sofort wieder abzureisen. Meine Stärken liegen eher in den Disziplinen Feiern, Langschlafen, Kung-Fu-Filmeschauen und … äh … hatte ich Feiern schon erwähnt?
Am Tag der Abreise, erfahre ich, endet der Wettbewerb – nicht in einer großen Preisverleihung, sondern in einem persönlichen Gespräch mit dem Psychologen und den anderen beiden Juroren.
»Es ist eher eine Art spielerische Familiensupervision«, erklärt Frau Sommer. »Die Idee hat sich unsere neue PR-Spezialistin gemeinsam mit Herrn Ainberger ausgedacht. Ist bisher einmalig, aber wir haben schon Lizenzanfragen aus aller Welt.«
Der Träger eines Goldenen Bubsis erhält freien Eintritt in den Kooperationseinrichtungen des Hotels – der Family-Fun-Farm und der Furten-Therme – plus Prozente bei der Buchung des nächsten Urlaubs.
Die kleine Paula grinst erneut ihr Strebergrinsen. »Wir wollen dieses Jahr den Platinbubsi in Angriff nehmen.«
Frau Sommer lächelt. »Der wurde bisher noch nie verliehen, aber Ehrgeiz muss belohnt werden: eine der ersten Erziehungsregeln.«
»Ein gemeinsames Ziel ist gut für die Familienpower«, ergänzt Paula und klatscht der Reihe nach mit ihrem Bruder, der Mutter und dem Vater ab.
Ich kann mein Entsetzen kaum verbergen. Bin ich hier in einer fundamentalistischen Pädagogensekte gelandet? Spätestens wenn die zum Kollektivselbstmord aufrufen, um ihre Konsequenz zu beweisen, haue ich ab.
»Schauen Sie doch nicht so schlecht gelaunt.«
Herr Fröhlich hält mir die Hand hin. »›Immer Fröhlich bleiben‹ ist unser Motto.« Alles klar: Das ist der Mann mit dem Touran. Mit dem habe ich eh noch eine Rechnung offen.
Während ich abklatsche, grinst er so dämlich, als würde sein Gehirn schon einmal Dehnübungen machen, um sich auf die erste Kategorie vorzubereiten: Schlechtere Väter blöd dastehen zu lassen.
»Sind Sie dabei?«
»Ich weiß nicht«, entgegne ich vorsichtig. Dieser Wettbewerb würde unsere falsche Identität wahrscheinlich sofort auffliegen lassen. Hilfe suchend sehe ich zu Anne hinüber. Aber die ist gerade beim Psychologen in Behandlung.
»Sie haben nichts zu verlieren«, insistiert Herr Fröhlich. »Außer Ihrer Ehre. Und ein paar Pfunden.« Daraufhin gackert seine Familie los wie eine Kiste Lachsäcke in einem Ein-Euro-Laden und startet die zweite Abklatschrunde.
In diesem Moment lässt Herr Béla, diesmal in Livree, ein schweres Tablett voller Sektgläser auf den Tisch fallen.
»So! Alle Freunde, jetzt saufen«, ruft er.
»Trinken heißt das, Herr Béla«, korrigiert ihn die Chefin.
»Bitte Verzeihung«, murmelt Herr Béla aufrichtig geknickt und schaut mit traurigem Gesicht in die Runde. »Kollegen haben gesagt, so geht deutscher Trinkspruch.«
»Wir sind hier aber in Österreich!« Frau Sommer sieht entschuldigend in die Runde. »Gutes Personal ist heutzutage schwer zu bekommen. Herr Béla schiebt schon Doppelschichten, weil der Großteil unserer weiblichen Mitarbeiter schwanger geworden ist.«
Die Familienseuche grassiert also auch in Tirol. Frau Sommer sieht Herrn Béla stolz an.
Der hebt abwehrend die Hände. »Ich war’s nicht.«
»Schon okay«, meint die Chefredakteurin, hebt ihr Glas und schaut in die Runde. »Alle Freunde, jetzt saufen!«
Wir stoßen an. So habe ich noch etwas Zeit, mir Gedanken über diese Supervision zu machen.
Die Direktorin schiebt eine selbst gedruckte Frühstücksbroschüre zu mir herüber. »Das ist unser Magazin«, erklärt sie stolz, während Jeannie gesalzene Butter
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