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Dreibettzimmer: Roman (German Edition)

Dreibettzimmer: Roman (German Edition)

Titel: Dreibettzimmer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Glubrecht
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Wilden Mannle!
    Zum Glück nimmt das Essen ohne weitere Zwischenfälle seinen Lauf. Leonie schaufelt mit dem kleinen Obi um die Wette. Nach den Lachsalven verschmähen beide die Buchstabensuppe, und beim Kinderschnitzel haben sie sich schon so gut angefreundet, dass sie versuchen, dem anderen die Fleischstücke quer über den Tisch in den Mund zu werfen. Oma Eisenstein hätte ihr das wohl glatt durchgehen lassen, aber Anne ist strenger.
    »Wir sind doch hier nicht bei den Hottentotten!«, schimpft sie und wirft einen besorgten Blick zum Architekten. »Das war jetzt nicht irgendwie rassistisch gemeint oder so.«
    Mein Gott, warum müssen Eltern immer so verdammt korrekt sein?
    Zum Nachtisch bringt Herr Béla den Kindern eine »Spezialität aus Österreich: Tiroler Topfen«, wie er fröhlich verkündet. Er stellt Leonie ein Schüsselchen hin. »Einmal Vanille«, erklärt er und geht dann weiter zu Obi: »Und einmal Schoko.«
    Jetzt achtet keiner mehr auf Anne. Frau Sommers Gesicht wird winterlich. Die Architekten stehen auf.
    »Wir müssen los«, verkünden sie synchron und heben Obi aus dem Stuhl.
    »Wir schließen uns an«, sagt Anne. »Die Kleine muss um acht im Bett liegen, und heute ist der Papa dran mit der Gutenachtgeschichte.«
    Sie sammelt das restliche Spielzeug auf und bittet mich, auch Leonie aus dem Kinderstuhl zu nehmen.
    Oh nein! Ich hatte doch noch nie ein Kind auf dem Arm. Aber bevor ich erneut ins Abseits schlittere, gehe ich zu Leonie, ziehe den Hochstuhl vorsichtig vom Tisch weg, stelle mich davor und fasse ihr beherzt unter die Achseln. Kurz und schmerzlos: hau ruck! Mit Schwung hieve ich Leonie hoch. Aber ihre Beine bleiben im Stuhl stecken, der nun am Kind in der Luft hängt.
    Leonie starrt mich aus entsetzten Augen an und stößt einen markerschütternden Schrei aus. Obi erschrickt und stimmt brüllend ein, als hätte Leonies Geschrei sein Bürgerkriegstrauma ausgelöst. Die Gäste an unserem Tisch springen vor Schreck auf. Ich stehe da, drücke Leonie an meine Brust, während ihre Bestuhlung in den Raum ragt.
    Plötzlich steht Herr Fröhlich neben mir. »Runter!«, befiehlt er, als hätte es eine Bombenwarnung gegeben. Bei dem autoritären Tonfall gehorche ich sofort und setze die Leonie-Stuhl-Kombination wieder ab. Die Erwachsenen am Tisch starren mich entsetzt an.
    Herr Fröhlich stellt sich hinter Leonie, umfasst ihre Flanken, fixiert mit einem Fuß das Stuhlbein, hebt Leonie ganz leicht aus dem Sitz und reicht sie an Anne weiter. Das alles mit der routinierten Präzision einer Feuerschutzübung.
    Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie der Psychologe erneut in sein kleines, in braunes Leder gebundenes Büchlein schreibt. Dabei sieht er zu Fröhlich hinüber und bewegt zufrieden den Kopf auf und ab. Herr Fröhlich setzt sich wieder zu seinen Liebsten und wirft mir einen verächtlichen Seitenblick zu.
    »Sie haben recht. Der Familiencontest ist wirklich nichts für Sie«, tadelt er abschätzig.
    In diesem Moment habe ich einen Geistesblitz. Dieser Familiencontest könnte der perfekte rote Faden für meinen Verriss sein: Falls ich durchfalle, bin ich einfach nicht zum Vater geeignet. Sollte ich diesen Platinbubsi wider Erwarten gewinnen, führe ich das ganze System Familienhotel ad absurdum. Eine Bewertung durch den Psychologen liefert mir dazu gute Steilvorlagen für den Text. Und Anne wird glauben, ich nehme nur ihr zuliebe teil, um mich tatsächlich zum besseren Menschen bekehren zu lassen.
    »Einen Moment«, rufe ich. »Familie Hartmann fordert die Familie Fröhlich zum Kampf um den Blubsi in Platin heraus!«
    »Den Bubsi, nicht den Blubsi«, korrigiert Pippi Blondzopf und schlägt die Hände über dem Kopf zusammen.
    Anne sieht mich so verblüfft an, als hätte ich soeben meine Kandidatur um das Amt des Papstes verkündet.
    »Du hast sie wohl nicht mehr alle!«, stellt sie fest, macht auf dem Absatz kehrt und eilt mit Leonie auf dem Arm in Richtung Fahrstühle. Ich sehe noch, wie die Kleine mit dem Finger auf mich deutet. Aus der Ferne höre ich ihr Stimmchen fragen: »Wer war das?« und Anne antworten: »Dein Papa!«
    Der Psychologe hebt beschwichtigend die Hände.
    »Meine Herren, beim Familiencontest geht es um das Miteinander, nicht um das Gegeneinander«, erklärt er. »Deshalb weiß auch keine Gastfamilie von der anderen, ob sie teilnimmt. Wir wollen keine Konkurrenz unter den Gästen erzeugen. Sie sind hier im Urlaub, nicht auf der Arbeit.« Wenn der wüsste.
    Pippi Blondzopf strahlt

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