Dreibettzimmer: Roman (German Edition)
endlich mal mit den anderen Vätern unter vier Augen über ihre Probleme reden – ohne dass Anne etwas davon mitbekommt.
»Abgemacht.« Frau Sommer und ich besiegeln den Deal mit Handschlag.
Wie zur Bestätigung meines Statements beendet das Jazztrio in diesem Moment seinen Ausflug in die Folkmusik. Die Iren applaudieren frenetisch, heben die Gläser zum Anstoßen in die Luft und werfen sie dann hinter sich, wo Jeannie und Herr Béla entweder die Gläser fangen oder die Scherben wegfegen. Die ersten Eltern bringen ihre Kinder in Sicherheit. Frau Sommer klatscht artig. Die Musiker beratschlagen flüsternd, welchen Song sie als Nächstes bringen sollen.
Doch bevor das Trio erneut beginnen kann, höre ich Leonies glockenhelles Stimmchen: »Drei Chinesen mit dem Kontrabass saßen auf der Straße und erzählten sich was. Da kam die Polizei und fragt: Was ist denn das? Drei Chinesen mit dem Kontrabass.«
Nach und nach stimmen auch die anderen Kinder ein. Sehr treffend. Die drei sind zwar keine Chinesen, haben aber unverkennbar Migrationshintergrund.
Einige Eltern grinsen, nur die Mienen der Architekten wirken so starr wie die Deutsche Oper. Während Frau Sommer den Iren Genese und Bedeutung dieses Volkslieds zu erklären versucht, stimmt Leonie die erste Variation an: »Dro Chonoson mot dom Kontroboss …« Dabei strahlt sie auffordernd den Kontrabassisten an.
»Mukiz, ja?«, fragt sie. Wenigstens eine hat ihre gute Laune nicht verloren. Der Musiker lässt sich nicht lange bitten und greift in die Saiten. Wenig später singt der ganze Saal von den dro Chonoson, den dra Chanasan und den dri Chinisin mit dim Kintribiss und schließlich noch eine neue, gälische Variante, die ich nicht verstehe, aber bei der ich trotzdem mitsinge.
Die Gedanken sind Brei
Herr Béla kratzt den letzten Rest »Familienglück« aus der großen blütenweißen Porzellanschüssel, füllt ihn in ein Schälchen und hält es mir auffordernd hin.
Ich lehne aus vollem Herzen ab.
»Danke, ich hatte schon genug davon.«
Der Blick des Kellners wandert zu Leonie, die gerade mit hochrotem Kopf am Büfetttisch hängt und offenbar versucht, die große Schüssel von dort oben herunterzuziehen. Als sie sieht, dass Herr Béla bereits ein Dessert in der Hand hält, strahlt sie ihn an, als wären wir nicht im Urlaub, sondern auf einem Casting für Kinderzahnpasta.
Herr Béla deutet auf das Welpengesicht am Rand des Schälchens. »Hund?«, fragt er. Muss er sie denn unbedingt an das Schrecktrauma in der Kinderbetreuung erinnern?
Doch Leonie hat nur Augen für das Dessert.
»Wauwau«, antwortet sie artig, lässt den Tisch los, landet auf dem Boden und rudert kurz mit den Ärmchen, bis sie auf den Dielen ihr Gleichgewicht gefunden hat. Dann nimmt sie Herrn Béla das Schälchen aus der Hand.
»Bitte«, sagt sie, meint damit »danke« und stapft auf ihren kleinen Beinen davon, wackelig wie ein winziger Stuntman, der soeben aus der Kanone geschossen wurde.
»In Ungarn Vater isst Reste von Kindern«, belehrt mich Herr Béla von der Seite. »Nicht umkehrt.«
Klar könnte ich jetzt dagegenhalten, dass die Ungarn heutzutage überhaupt keine Kinder mehr essen, nicht mal Reste von ihnen, oder auch, dass ich gar nicht Leonies Vater bin. Stattdessen stelle ich meinen Teller zwischen den Thunfisch-Zucchini-Salat und das Spinat-Poularden-Risotto. Gestern Abend waren das übrigens noch je zwei eigenständige Gerichte. Morgen steht auf dem Büfett wahrscheinlich nur noch eine große Schüssel »Familiensalat«.
»Herr Béla, Leonie ist nicht Ihre Tochter.«
Er sieht mich mit einem Ihre-Tochter-auch-nicht-Blick an. Ich spüre, wie mir das Blut in den Kopf schießt.
»Und hören Sie bitte mit diesem Hund-Wauwau-Unsinn auf! Leonie ist jetzt zweieinhalb Jahre alt, sie kennt noch andere Tiere. Wobei ich mir bei Ihnen da mittlerweile nicht mehr so sicher bin.«
»Warum sind Sie so böse?«
Okay, vielleicht bin ich ein bisschen sauer, weil die Iren neuerdings frühmorgens auf dem knarzenden Dielenboden ihrer Zimmer Stepptanz üben, was durch das ganze Hotel schallt, oder weil ich zum zweiten Mal von meiner Traumfrau verlassen wurde und sie seit gestern nicht mehr gesehen habe. Außerdem hat Anne nach unserem seltsamen Moment gestern plötzlich die Taktik gewechselt und gibt sich jetzt reservierter als je zuvor. Am liebsten würde ich den Job hinschmeißen, meine Wut auf diesen ganzen Familienquatsch in den Speisesaal schreien und Herrn Béla eine Portion Glückscreme
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