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Dreibettzimmer: Roman (German Edition)

Dreibettzimmer: Roman (German Edition)

Titel: Dreibettzimmer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Glubrecht
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ins Gesicht klatschen.
    Aber so etwas dürfen natürlich nur Kinder machen. Wer älter ist als zehn Jahre und in einem Familienhotel die Contenance verliert, wird als überfordert abgestempelt und in eine Selbsthilfegruppe überforderter Eltern abgeschoben.
    »Ich bin nicht böse, ich bin besorgt. Wenn ich böse wäre, würde ich schreien«, entgegne ich energisch.
    »Sie schreien ja.«
    Hinten in der Lobby entdecke ich Anne. Schnellen Schrittes kommt sie durch den Speisesaal auf mich zu. Jetzt kann ich ihre Zornesfalten deutlich erkennen. Warum ist die denn jetzt schon wieder sauer? Weil wir uns gestern zu gut verstanden haben? Und was macht sie überhaupt in der Lobby? Ich dachte, sie wäre im Speisesaal und würde Leonies drittes Frühstück vom Boden aufwischen. Die Kleine wäre doch nie so zielstrebig losmarschiert, wenn sie nicht gewusst hätte, wohin. Anne mustert mich von oben bis unten. Ihre Lippen werden schmal und blutleer.
    »Wo ist meine Tochter?« fragt sie leise drohend.
    Das Geklimper der Messer und Gabeln verstummt. Totenstille legt sich über den Speisesaal. Niemand wagt zu kauen. Alle Augen sind auf mich gerichtet. Der Psychologe hat seine Stirn in professionelle Sorgenfalten gelegt und schüttelt den Kopf. Sogar Oma Eisenstein hat ihre gütigen Augen zusammengekniffen.
    Ich blicke in die Richtung, in die Leonie davongedackelt ist. Die meisten Hotelgäste haben jetzt ihr Frühstück beendet. Nur einer der irischen Väter sitzt noch vor dem verwüsteten Tisch, die Augen geschlossen, seine Brust hebt und senkt sich gleichmäßig. Hat wohl heute Morgen zu viel gesteppt.
    Knappe zehn Meter entfernt hockt Archibald von der Sommerwiese, der grau melierte Dackel der Eisensteins, zur Hälfte von der bodenlangen Tischdecke verdeckt. Er hält Leonies Glückscreme zwischen den Pfoten und schleckt selig. Ich schaue ihn an und denke: Hund? Wauwau. Keine Spur von Leonie.
    »Ich dachte, sie wäre bei dir.«
    Annes Miene versteinert. Der erste Ansatz von Entspannung, den ich gestern auf ihrem Gesicht entdeckt habe, weicht dem Ausdruck absoluter Panik.
    »Du Idiot!«, ruft sie.
    Wir stürmen in die Lobby des Familienhotels: keine Leonie weit und breit. In den Ledersesseln trinken die Architekten und der irische Clan Kaffee, Psychologe Ainberger blättert in der »Psychologie Heute«, die offenbar nur für ihn abonniert wurde. Alle sind zutiefst beschäftigt mit inneren Angelegenheiten.
    Wie auf ein geheimes Zeichen drehen sie ihre Köpfe simultan in unsere Richtung und starren uns an. Nein, sie blicken hinter uns in den Speisesaal. Von dort dringt ein Schrei in die Lobby: Leonie.
    Wenig später knien Anne und ich vor der Kleinen, die das Brotmesser wie zum Ritterschlag ausstreckt – oder zur Enthauptung. So unauffällig wie möglich halte ich nach Hilfe Ausschau.
    Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie sich Stanley Fröhlich jetzt direkt neben uns im Schneidersitz niederlässt, unbeeindruckt wie ein Unterhändler, der Glasperlen gegen das Kriegsbeil eintauschen will. Er hält einen Glitzerflummi in der Hand. Jetzt wirft er ihn leicht auf den Boden, der Ball federt zurück, Stanley fängt ihn auf. Der Flummi hat zwei Seiten: eine goldglitzernde und eine silberne. Leonies Augen werden größer, sie öffnet vor Staunen den Mund. Stanley fängt den Flummi mit einer Hand auf und hält ihn Leonie auffordernd hin.
    »Gibst du mir dafür das Messer?«, fragt er lockend.
    »Nein!«, entgegnet Leonie brüsk. Ihr Unterton ist eindeutig bedrohlich, wenn nicht sogar despotisch. Hätte ich ihm gleich sagen können. Die Kleine ist doch nicht doof.
    »Bei drei stürzen wir uns auf sie«, zischt Stanley jetzt im Flüsterton, aber Anne schüttelt den Kopf.
    »Papa!«, befiehlt Leonie. »Bitte!« Das Messer wandert von der Höhe meiner Kehle zu meiner Hose und deutet nun auf meine Tasche. Mir geht ein Licht auf. Langsam nehme ich eine Hand herunter und greife in die Tasche. Wie in Zeitlupe ziehe ich eine silbrige Minipackung Gummimannles aus der Hosentasche.
    Anne sieht mich bestürzt an. »Meine Tochter bekommt noch keine Süßigkeiten.«
    Aber da habe ich schon die Packung geöffnet und Leonie eines der deformierten Gummibärchen in den offenen Mund gesteckt.
    »Danke, Papa«, sagt Leonie und lässt das Brotmesser fallen, um sich schnell die ganze Tüte zu greifen. Ohne hinzusehen, fängt Stanley das Messer am Griff auf und schlittert es über den Boden aus der Gefahrenzone.
    Das Messer erwischt Dackel Archibald von der Sommerwiese

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