Dreibettzimmer: Roman (German Edition)
erfülle ich ihr nur zu gern. Kaum sitzt sie auf meinen Oberschenkeln, pupst Leonie so laut, dass wir alle überrascht auf das kleine Kind schauen, aus dem so große Töne kommen. Von Leonies Windel zieht ein Gestank nach oben, der mir augenblicklich den Appetit verdirbt. Herr Schade schaut angeekelt. Leonie seufzt erleichtert. Ich tätschele ihr den Kopf.
»Hast du ein großes Konzert gemacht?«
Leonie nickt schüchtern und lehnt ihren Kopf an meine Schulter. Ich sehe zu meinem Chef hinüber. Der starrt mich so irritiert an, als hätte ich soeben mein Haar aus der Stirn gestrichen und dort ein drittes Auge präsentiert.
Anne dagegen platzt vor Stolz über ihre bisherige Missionierungsarbeit.
»Die Leonie macht ihr großes Konzert jetzt nur noch, wenn Caspar dabei ist.«
Schade schüttelt den Kopf, als wollte er das alles nicht wahrhaben.
Anne nimmt die stinkende Leonie von mir herunter und verschwindet zum Wickeln aufs Zimmer. Nun bin ich allein mit meinem Chef.
»Haben Sie sich etwa einlullen lassen?«, will er im Verschwörerton wissen.
Ich schaue ihn so entsetzt wie möglich an und lache so laut, dass alle Gäste zu mir herübersehen.
Herr Schade nimmt sich die letzte Minirosinenschnecke aus dem Brotkorb. »Ich habe Verstärkung mitgebracht!« Er deutet hinter sich.
Zwei Tische weiter sitzt Redaktionspraktikantin Nadine, meine Stalkerin. Sie winkt, ich nicke ihr zu. So ausgebucht, wie das Hotel ist, kann ich mir nicht vorstellen, dass Nadine ein Einzelzimmer hat.
Schade murmelt mit vollem Mund: »Ich habe hier in der Gegend beruflich zu tun. Da habe ich gedacht, wir könnten Ihnen zuarbeiten. Acht Augen sehen mehr als vier.«
»Leonie hat auch Augen.«
Schade fegt den Einwand mit einer wegwerfenden Handbewegung zur Seite. »Aber das hier haben Sie offenbar nicht gesehen«, stellt er fest und legt einen Flyer auf den Tisch. Darauf sehe ich einen Steinzeitmenschen und den Schriftzug »Ötzi-Paleo-Cup«. Das Plakat dazu ist mir doch gleich am ersten Tag aufgefallen. Aber dann habe ich mich wohl irgendwie daran gewöhnt.
»Ich glaube, Sie müssen nach so langer Zeit in diesem Familienzoo mal wieder raus in die freie Wildbahn.« Schade nimmt sich meinen Cappuccino und spült damit den Rest der Rosinenschnecke hinunter. »Ich habe genau das Richtige für Sie, um nicht in diesem Wellnessplüsch zu versinken.«
Oh nein. Nicht schon wieder so ein Überraschungsauftrag vom Chef. »Das ist wirklich nicht nötig. Außerdem kann ich gerade nicht weg, ich muss heute Abend einen Karatekurs geben. Recherche!«
»Da bin ich dabei«, erklärt Herr Schade. »Ich habe früher auch mal Karate gemacht.«
Ich schaue meinen Chef fragend an. Das wird ja immer wilder! Er ballt die linke Hand zur Faust und streckt seinen Arm in einem Schlag, der erst wenige Zentimeter vor meiner Nase zum Stehen kommt. »Die Sache ist bloß: Es gibt nur eine Ganztagsstelle. Für drei Bewerber.«
Der will mich wohl auf den Arm nehmen? Ich hätte Lust, ihm hier und jetzt ein bisschen Karate beizubringen. Stattdessen beuge ich mich vor, um ihm meine Wut entgegenzuflüstern: »Sie hatten gesagt, ich bekomme diese Stelle. Deshalb mache ich das alles doch überhaupt nur.«
Schade schaut durch mich hindurch. »Entscheidung auf Verlagsebene: Medienkrise, Einsparungen, auch wir sind davon betroffen. Ich bin selbst nur Befehlsempfänger.«
»Und wer sind die drei Bewerber?«
»Sie als Nachtlebenkolumnist, Anne als Frauenspezialistin.« Er deutet wieder mit dem Daumen hinter sich. »Die besten Karten hat gerade Nadine als Jungredakteurin. Die käme uns nämlich am günstigsten.«
»Aber das ist doch meine Stelle?«
Schade ignoriert den Einwand und erzählt mir, dass er schon eine Idee hat, die mich wieder ganz vorn ins Rennen um die begehrte Stelle bringt.
Ich mustere ihn. »Egal, was Sie hier im Hotel gehört haben, ich gehe nicht mit Ihnen ins Bett.«
Er schaut verwundert und winkt angeekelt ab. Ich atme auf.
»Folgendes!«, beginnt Schade und erzählt, dass der »Münchner« als einzige deutsche Zeitschrift einem neuen Trend auf der Spur sei: »Paleo« kommt aus Amerika und nimmt den Zurück-zu-den-Wurzeln-Gedanken sehr wörtlich. In New York robben Manager halb nackt durch den Central Park, essen Beeren und Käfer, schleppen Baumstämme und rennen, als wäre ein Mammut hinter ihnen her.
Ursprünglich war »Paleo« als Diät- und Ernährungskonzept gedacht: rohes Fleisch und Gemüse. Eine bekannte PR-Managerin griff den Trend im Ötztal
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