Dreibettzimmer: Roman (German Edition)
Originaloutfit von Ötzi: also Felle, Leder und Ranken statt Schnürsenkel. Das ist nichts für Frauen.«
Mr. Perfect wendet sich an Anne. »Bleib du besser mit der Kleinen hier, Schat. . . äh . . . Schwester. Ist sicherer.« Auch Herr Schade besteht darauf, dass Anne und Leonie im Hotel bleiben – schon aus Versicherungsgründen.
»Aber ich brauche Caspar doch für unsere Geschichte«, wendet meine Kollegin ein. »Er ist gerade auf dem Weg, sich zu öffnen, da sollte er bei seiner Familie sein.«
»Lass die Männer mal auf Heldenreise gehen«, säuselt Nadine, die nun auch an unseren Tisch gekommen ist. »Wir bleiben einfach hier und machen uns mit Leonie einen richtig schönen Mädelsabend. Muss auch mal sein.«
Anne schaut sie an, als hätte Nadine ihr gerade vorgeschlagen, Leonie mit dem stumpfesten Zacken der Kindergabel Piercings zu stechen.
»Uns wird bestimmt nicht langweilig«, verkündet Nadine mit einem Seitenblick zu mir. »Ich kann dir ein paar Dinge über deinen Ehemann verraten, die dich bestimmt interessieren.« Sie schaut mich an, als wäre ich ein Mafiaboss, der ihr Leben ruiniert hat. »Ach ja, neuerdings ruft mich immer so ein Kerl an und will sich unbedingt mit mir treffen. Er redet von nichts anderem als seinem zweiten Kind, das in einem halben Jahr auf die Welt kommt. Ich frage mich, woher der meine Handynummer hat.«
Ich schüttele erstaunt den Kopf. »Da musst du echt aufpassen. Dort draußen laufen jede Menge Verrückte herum.«
Leonie, die unterdessen immer unruhiger geworden ist, fängt jetzt an zu weinen. Anne steckt ihr einen Schnuller in den Mund und steht auf. »Was wolltest du mir eigentlich vorhin erzählen?«, fragt sie.
»Ach«, winke ich ab. »Ist nicht so wichtig. Das erkläre ich dir, wenn wir wieder da sind.« Kaum habe ich den letzten Satz beendet, wünschte ich, jemand hätte mir rechtzeitig einen Schnuller in den Mund gestopft.
Anne geht demonstrativ zum Büfett, um sich noch »ein bisschen Familienglück« zu holen, Nadine läuft hinterher, weil sie wahrscheinlich noch nicht weiß, dass es nur ein Dessert ist.
»Frauen!«, schnauft Mr. Perfect, als die beiden außer Hörweite sind.
Kaum haben wir wieder etwas mehr Platz am Tisch, kommt Stanley vorbei. Er wirkt ganz aufgeregt, will sich nicht wegschicken lassen und breitet ungefragt ein Blatt Papier auf dem Tisch aus. Darauf hat er Zeichnungen und Symbole gemalt, die mich an Höhlenmalereien erinnern. Er hat endlich seine neuen Tatoos entworfen: »Neusteinzeitliche Glyphen, die mich immer an das Ursprüngliche und Wilde in meinem Leben erinnern«, schwärmt er mit leuchtenden Augen.
Mit einem Mal wird ihm bewusst, dass wir nicht allein am Tisch sitzen. Ich stelle ihm Herrn Dr. Schade vor, aber Stanley ist in seinem Eifer nicht mehr zu bremsen.
Er erzählt mir, dass er neben seiner Beamtentätigkeit immer noch genug Zeit hat, um auf LARPs zu fahren, Live Action Role Playings: Offenbar ist er einer von den Jungs, die den Sommer über von Mittelaltermarkt zu Mittelaltermarkt ziehen, um mit der Familie in Fellzelten zu schlafen, in authentischer Kleidung am Lagerfeuer über die korrekte Form von Gürtelschnallen zu fachsimpeln und abends im Waschzuber die Frauen mit Minnegesang zu betören.
Mr. Perfect, Schade und ich wechseln einen Blick. Stanley ist genau der richtige dritte Mann für unsere Tour. Wir bestellen ihm erst mal einen Tee zur Beruhigung und erklären ihm den Plan. Stanley sagt sofort zu. Er kennt »Paleo«, allerdings »eher vom kulturhistorischen als vom sportlichen Aspekt«. Nach seinem Einsatz in der Therme mache ich mir um seine Widerstandsfähigkeit aber keine Sorgen.
Aus dem Flyer liest uns Schade die Details der Wanderung vor: »1552 Höhenmeter, zunächst leichter Alpinweg, Kletterei, gute Kondition und Ausdauer sowie Bergerfahrung erforderlich, in 3600 Meter Höhe erwartet uns der Similaun mit seiner eisigen Nordflanke. Fünf Stunden hin – drei Stunden zurück.«
Weil Mr. Perfect und Stanley nicken, schließe ich mich an.
»Tierfelle und authentische Ausrüstung bekommt ihr vor Ort vom Veranstalter«, erklärt mein Chef und empfiehlt dazu dicke Socken, gute Schuhe und Thermounterwäsche. »Die Felle sind nur für das Ötzi-Feeling.«
Worum ich mir viel mehr Gedanken mache, ist das Feeling zwischen Mr. Perfect und mir. Wahrscheinlich werden wir in den Bergen bei jeder Gelegenheit versuchen, uns gegenseitig von den Gipfeln zu schubsen.
Oder wir erledigen die Sache jetzt gleich,
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