Dreifach
Dickstein improvisierte, während er sprach.
»Nie von Ihnen gehört.«
»Deshalb rufe ich Sie an. Wir erwägen nämlich, ein Büro in Antwerpen zu eröffnen. Mich würde interessieren, ob Sie bereit wären, uns einen Auftrag zu geben.«
»Das bezweifle ich, aber Sie können mir schreiben und ...«
»Sind Sie mit Ihrer jetzigen Besatzungsagentur vollkommen zufrieden?«
»Sie könnte schlechter sein. Hören Sie ...«
»Noch eine Frage, und ich werde Sie nicht länger belästigen. Dürfte ich wissen, mit wem Sie im Moment zusammenarbeiten?«
»Mit Cohen. Aber jetzt habe ich keine Zeit mehr –«
»Ich verstehe. Vielen Dank für Ihre Geduld. Auf Wiederhören.«
Cohen! Ein glücklicher Zufall! Vielleicht kann ich es diesmal ohne Brutalität schaffen, dachte Dickstein, während er den Hörer auflegte. Cohen! Eine Überraschung – das Werft- und Schiffsgeschäft war für Juden nicht typisch. Nun, er hatte eben Glück gehabt.
Er schlug die Besatzungsagentur Cohen im Telefonbuch nach, prägte sich die Adresse ein, zog seinen Mantel an, verließ das Hotel und winkte einem Taxi.
Cohen hatte ein kleines Zweizimmerbüro über einer Seemannsbar im Vergnügungsviertel der Stadt. Es war noch nicht Mittag, und die Nachtmenschen schliefen noch – die Prostituierten und Diebe, Musiker und Nackttänzerinnen,Kellner und Rausschmeißer, die das Viertel am Abend zum Leben erweckten. Zur Zeit sah es aus wie jeder andere vernachlässigte Geschäftsbezirk, grau und kalt und nicht allzu sauber.
Dickstein stieg die Treppe zu einer Tür im ersten Stockwerk hinauf, klopfte an und trat ein. Eine Sekretärin mittleren Alters saß wie ein Wachhund in einem kleinen Empfangsbüro mit Regalen voller Ordner an den Wänden und orangefarbenen Plastikstühlen.
»Ich würde gern mit Herrn Cohen sprechen.«
Sie musterte ihn und kam wohl zu dem Schluß, daß er kein Seemann war. »Brauchen Sie ein Schiff?« fragte sie skeptisch.
»Nein. Ich bin aus Israel.«
»Oh.« Die Sekretärin zögerte. Sie hatte dunkles Haar und tiefliegende, mit Lidschatten bemalte Augen, und sie trug einen Ehering. Dickstein überlegte, ob sie Frau Cohen sein könnte. Sie stand auf und trat durch eine Tür hinter ihrem Schreibtisch in das zweite Zimmer. Von hinten – sie trug einen Hosenanzug – war ihr Alter nicht zu übersehen.
Eine Minute später tauchte sie wieder auf und bat ihn in Cohens Büro. Cohen erhob sich, schüttelte ihm die Hand und sagte ohne Vorrede: »Ich spende jedes Jahr für die gute Sache. Während des Krieges habe ich 20 000 Gulden gespendet, ich kann Ihnen den Scheck zeigen. Geht es um eine neue Sammlung? Gibt es wieder Krieg?«
»Ich bin nicht hier, um Geld zu sammeln, Herr Cohen«, beruhigte Dickstein ihn mit einem Lächeln. Die Sekretärin hatte die Tür offengelassen, Dickstein schloß sie. »Darf ich mich setzen?«
»Wenn Sie kein Geld wollen, nehmen Sie Platz, trinken Sie Kaffee mit mir und bleiben Sie den ganzen Tag«, lachte Cohen.
Dickstein setzte sich. Cohen war ein kleiner Mann mit Brille, kahlköpfig und glattrasiert, und schien etwa fünfzigJahre alt zu sein. Er trug einen braunkarierten Anzug, der nicht sehr neu war. Dickstein vermutete, daß er kein schlechtes Geschäft hatte, aber längst kein Millionär war. »Waren Sie im Zweiten Weltkrieg hier?«
Cohen nickte. »Damals war ich noch jung. Ich ging aufs Land und arbeitete auf einem Bauernhof, wo niemand mich kannte. Niemand wußte, daß ich Jude war. Ich hatte Glück.«
»Glauben Sie, daß das alles noch einmal passieren könnte?«
»Ja. Es ist in der Geschichte immer wieder passiert, weshalb sollte es jetzt aufhören? Es wird geschehen – aber nicht mehr, solange ich lebe. Hier fühle ich mich wohl. Ich will nicht nach Israel.«
»Gut. Ich arbeite für die israelische Regierung. Wir möchten, daß Sie etwas für uns tun.«
Cohen zuckte die Achseln. »Das wäre?«
»In ein paar Wochen wird sich einer Ihrer Kunden mit einem dringenden Auftrag an Sie wenden. Er wird einen Maschinenoffizier für ein Schiff namens Coparelli benötigen. Wir möchten, daß Sie einen unserer Männer vermitteln. Er heißt Koch und ist Israeli, doch er wird einen anderen Namen und gefälschte Papiere benutzen. Aber er ist tatsächlich Schiffsingenieur – Ihr Kunde wird nicht unzufrieden sein.«
Dickstein wartete darauf, daß Cohen etwas sagte. Du bist ein netter Bursche, dachte er, ein anständiger jüdischer Geschäftsmann, clever und fleißig und nicht mehr der Jüngste. Bitte, zwinge
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