Dreifach
wieder gehört, daß er häßlich sei, und so war er zu einem häßlichen Mann aufgewachsen. Wenn er sich unbehaglich fühlte – wie jetzt –, fuhren seine Hände ständig an sein Gesicht, bedeckten seinen Mund, rieben seine Nase, kratzten seine Stirn, um unterbewußt seine Unansehnlichkeit zu verbergen. Einmal, in einer ruhigen Minute, hatte Dickstein gefragt: »Warum brüllst du jeden an?«, und er hatte geantwortet: »Weil sie alle so verdammt hübsch sind.«
Man wußte nie, in welcher Sprache man sich mit Borg unterhalten sollte. Er war gebürtiger Frankokanadier und hatte Mühe mit dem Hebräischen. Dicksteins Hebräisch war gut, sein Französisch passabel. Gewöhnlich entschieden sie sich für Englisch.
Dickstein arbeitete seit zehn Jahren für Borg, aber der Mann gefiel ihm immer noch nicht. Er glaubte, Borgs unruhigen,unglücklichen Charakter zu verstehen, und er respektierte sein Fachwissen und seine besessene Hingabe an die Geheimdienstarbeit, aber für Dickstein reichte das nicht aus, um einen Menschen zu mögen. Wenn Borg ihn belog, gab es dafür immer gute, vernünftige Gründe, aber Dickstein nahm die Lüge trotzdem übel.
Er rächte sich, indem er Borgs Taktik gegen ihn selbst anwandte. Gewöhnlich weigerte er sich zu sagen, was sein Ziel war, oder er machte falsche Angaben. Er meldete sich nie planmäßig, wenn er eine Operation durchführte: Er rief einfach an oder sandte Botschaften mit gebieterischen Forderungen. Manchmal enthielt er Borg seinen ganzen Plan oder einen Teil seines Planes vor. Das hinderte erstens Borg daran, sich mit eigenen Vorhaben einzumischen, und es war zweitens auch sicherer – denn Borg mochte verpflichtet sein, alles, was er wußte, Politikern mitzuteilen; und was diese wußten, konnte wiederum dem Gegner zu Ohren kommen. Dickstein kannte die Stärke seiner Position – er war verantwortlich für viele Triumphe, die Borgs Karriere auszeichneten –, und er nutzte das bis zum äußersten aus.
Der Citroën brauste durch das arabische Städtchen Nazareth, das jetzt menschenleer war, da es wahrscheinlich unter Ausgangsverbot stand, und fuhr hinein in die Nacht in Richtung Tel Aviv. Borg steckte sich eine dünne Zigarre an und begann zu sprechen.
»Nach dem Sechstagekrieg hat einer der klugen Knaben im Verteidigungsministerium eine Abhandlung mit dem Titel ›Die unvermeidliche Vernichtung Israels‹ geschrieben. Er brachte folgendes Argument vor: Im Unabhängigkeitskrieg kauften wir Waffen von der Tschechoslowakei. Als sich der sowjetische Block auf die Seite der Araber schlug, wandten wir uns an Frankreich und später an Westdeutschland. Deutschland machte alle Vereinbarungen rückgängig, sobald die Araber davon Wind bekamen. Frankreich verhängte nach dem Sechstagekriegein Embargo. Sowohl Großbritannien wie die Vereinigten Staaten haben sich ständig geweigert, uns Waffen zu liefern. Wir verlieren unsere Bezugsquellen, eine nach der anderen.
Angenommen, wir können diese Verluste ausgleichen, indem wir dauernd neue Lieferanten finden und unsere eigene Waffenindustrie aufbauen. Selbst dann bleibt die Tatsache bestehen, daß Israel den Rüstungswettlauf des Nahen Ostens verlieren muß. Die Olländer werden in vorhersehbarer Zukunft reicher sein als wir. Unser Verteidigungshaushalt ist schon jetzt eine schreckliche Last für die Wirtschaft, während unsere Feinde ihre Milliarden für nichts Besseres ausgeben können. Wenn sie zehntausend Panzer haben, werden wir sechstausend brauchen; wenn sie zwanzigtausend Panzer haben, werden wir zwölftausend brauchen und so weiter. Wenn sie ihre Waffenkäufe jedes Jahr einfach verdoppeln, können sie damit unsere Wirtschaft lahmlegen, ohne einen einzigen Schuß abzufeuern.
Schließlich zeigt die jüngste Geschichte des Nahen Ostens ein Muster begrenzter Kriege, die ungefähr einmal im Jahrzehnt stattfinden. Die Logik dieses Musters richtet sich gegen uns. Die Araber können sich erlauben, von Zeit zu Zeit einen Krieg zu verlieren. Wir nicht: Unsere erste Niederlage wird unser letzter Krieg sein.
Schlußfolgerung: Das Überleben Israels hängt davon ab, daß wir den Teufelskreis durchbrechen, den unsere Feinde uns auferlegt haben.«
Dickstein nickte. »Nicht gerade ein neuer Gedankengang. Es ist das übliche Argument für ›Frieden um jeden Preis‹. Ich nehme an, daß der kluge Knabe für diese Arbeit aus dem Verteidigungsministerium gefeuert wurde.«
»Zweimal falsch geraten. Sein Gedankengang geht weiter: ›Wir müssen der
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