Dreifach
parkte auf der Straße vor seiner Wohnung. In dem Gebäude wohnten höhere Funktionäre, von denen etwa die Hälfte wie er einen russischen Kleinwagen besaß; es gab jedoch keine Garagen. Die Wohnungen waren geräumig für Moskauer Verhältnisse. Jurij und Wladimir hatten jeder ein eigenes Zimmer, und niemand brauchte im Wohnzimmer zu schlafen.
Ein Streit war im Gange, als er seine Wohnung betrat. Er hörte Marjas zornig erhobene Stimme, das Geräusch eines zerbrechenden Gegenstandes und einen Schrei; dann belegte Jurij seine Mutter mit einem Schimpfwort. Rostow stieß die Küchentür auf und blieb mit finsterer Miene – er hatte seine Aktentasche immer noch in der Hand – auf der Schwelle stehen.
Marja und Jurij trugen ihre Auseinandersetzung über den Küchentisch hinweg aus. Sie war wütend wie selten und den Tränen nahe, er war von unverhülltem jugendlichen Groll erfüllt. Zwischen ihnen lag Jurijs Gitarre, deren Griffbrett abgebrochen war. Marja hat sie zertrümmert, dachte Rostow sofort, aber der Streit hatte eine andere Ursache.
Beide wandten sich an ihn.
»Sie hat meine Gitarre zerbrochen!« rief Jurij.
»Er hat mit seiner dekadenten Musik Schande über die Familie gebracht«, klagte Marja.
Dann beschimpfte Jurij seine Mutter noch einmal genauso wie vorher.
Rostow ließ seine Aktentasche fallen, trat vor und schlug dem Jungen ins Gesicht.
Jurij wankte unter der Kraft des Schlages, und seine Wangen röteten sich vor Schmerz und Scham. Der Sohn war so groß wie der Vater, aber breiter. Rostow hatte ihn nicht mehr geprügelt, seit er ein Mann geworden war. Jurij setzte sich sofort zur Wehr. Seine Faust schoß vor, und ein Treffer hätte Rostow k. o. geschlagen. Doch Rostow wich mit dem Instinkt vieljährigen Trainings zur Seite und warf Jurij so sanft wie möglich zu Boden.
»Verlaß das Haus«, befahl er ruhig. »Komm zurück, wenn du bereit bist, dich bei deiner Mutter zu entschuldigen.«
Jurij rappelte sich auf. »Niemals!« brüllte er, lief hinaus und knallte die Tür zu.
Rostow nahm seinen Hut ab, zog den Mantel aus undsetzte sich an den Küchentisch. Er nahm die zerbrochene Gitarre und legte sie behutsam auf den Boden. Marja goß Tee ein und reichte ihm die Tasse; seine Hand zitterte, als er sie entgegennahm. Schließlich fragte er: »Was soll das alles?«
»Wladimir hat die Prüfung nicht bestanden.«
»Wladimir? Was hat das mit Jurijs Gitarre zu tun? Welche Prüfung hat er nicht bestanden?«
»Die für die Physikalisch-Mathematische Schule. Er wurde abgelehnt.«
Rostow starrte sie sprachlos an.
»Ich war so erschüttert, aber Jurij lachte nur – er ist ja ein bißchen eifersüchtig auf seinen Bruder. Dann fing er an, seine westliche Musik zu spielen, und ich dachte, es kann nicht sein, daß Wladimir nicht klug genug ist. Es muß daran liegen, daß seine Familie nicht genug Einfluß hat; vielleicht hält man uns Jurijs Ansichten und seiner Musik wegen für unzuverlässig. Ich weiß, daß es dumm war, aber in meiner Erregung habe ich seine Gitarre zerbrochen.«
Rostow hörte nicht mehr zu. Wladimir abgelehnt? Unglaublich. Der Junge war gescheiter als seine Lehrer, viel zu gescheit für gewöhnliche Schulen – sie konnten ihm nichts bieten. Die Physikalisch-Mathematische Schule war für außerordentlich begabte Kinder vorgesehen. Außerdem hatte der Junge gesagt, daß die Prüfung nicht schwierig gewesen sei. Er glaubte, hundert Prozent erzielt zu haben, und er wußte immer , wie er bei einem Examen abgeschnitten hatte.
»Wo ist Wladimir?« fragte Rostow.
»In seinem Zimmer.«
Rostow ging über den Flur und klopfte an die Zimmertür. Keine Antwort. Er trat ein, Wladimir saß auf dem Bett und starrte die Wand an. Sein Gesicht war rot und von Tränenspuren gezeichnet.
»Wieviel Prozent hast du in der Prüfung bekommen?«Wladimir blickte zu seinem Vater auf. Sein Gesicht war eine Maske kindlicher Verständnislosigkeit. »Hundert Prozent.« Er streckte Rostow ein Bündel Papiere entgegen. »Ich erinnere mich an die Fragen und an meine Antworten. Keine Fehler – ich habe alles zweimal durchgesehen. Und ich ging fünf Minuten vor der Zeit aus dem Prüfungszimmer.«
Rostow wandte sich um.
»Glaubst du mir nicht?«
»Doch, natürlich.« Rostow betrat das Wohnzimmer, wo das Telefon stand. Er rief die Schule an. Der Direktor war noch an der Arbeit.
»Wladimir hat in dem Test keinen Fehler gemacht«, sagte Rostow.
Der Direktor antwortete besänftigend: »Es tut mir leid, Genosse
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