Dreifach
älteren Sohn an. Er erinnerte sich an die Schwierigkeiten seiner eigenen Entwicklungsjahre, den fehlgeleiteten Zorn, die klar begrenzteAuffassung von Gut und Böse, die raschen Demütigungen und die langsame Aneignung von Wissen. »Jurij, ich möchte mich dafür entschuldigen, daß ich dich geschlagen habe.«
Jurij brach in Tränen aus.
Rostow legte einen Arm um seine breiten Schultern und führte ihn zur Tür seines Zimmers. »Wir hatten beide unrecht, du und ich«, fuhr er fort. »Deine Mutter auch. Ich muß bald wieder verreisen. Dann werde ich versuchen, dir eine neue Gitarre mitzubringen.«
Er hätte seinen Sohn küssen mögen. Aber sie waren alle geworden wie die Menschen im Westen, die sich der Küsse schämten. Sanft schob er Jurij in sein Zimmer und schloß die Tür hinter ihm.
Als er ins Wohnzimmer zurückkehrte, merkte er, daß seine Pläne in den letzten Minuten Gestalt angenommen hatten. Er setzte sich wieder in den Sessel, diesmal mit einem weichen Bleistift und einem Blatt Papier, und begann, ein Memorandum zu entwerfen.
An:
Vorsitzenden, Komitee für Staatssicherheit
Von:
Stellvertretendem Leiter, Europäische Abteilung
Kopie:
Leiter, Europäische Abteilung
Datum:
24. Mai 1968
Genosse Andropow,
mein Abteilungsleiter Felix Woronzow ist heute abwesend, aber ich bin der Meinung, daß die folgenden Angelegenheiten zu dringend sind, um damit auf seine Rückkehr zu warten.
Ein Agent in Luxemburg hat berichtet, dort den israelischen Agenten Nathaniel (»Nat«) David Jonathan Dickstein, alias Edward (»Ed«) Rodgers, bekannt als »der Pirat«, entdeckt zu haben.
Dickstein wurde als Sohn eines Ladenbesitzers 1925 in Stepney, Ostlondon, geboren. Sein Vater verstarb 1938,seine Mutter 1951. Dickstein trat 1943 in die britische Armee ein, kämpfte in Italien, wurde zum Sergeant befördert und bei La Molina gefangengenommen. Nach dem Krieg ging er an die Universität Oxford, um Semitische Sprachen zu studieren. 1948 verließ er Oxford ohne Abschluß und emigrierte nach Palästina, wo er bald darauf begann, für den Mossad zu arbeiten.
Zuerst hatte er mit Diebstahl und geheimem Aufkauf von Waffen für den zionistischen Staat zu tun. In den fünfziger Jahren leitete er eine Operation gegen eine von Ägypten unterstützte Gruppe palästinensischer Freiheitskämpfer im Gazastreifen und war persönlich für die Minenfalle verantwortlich, die Kommandeur Aly tötete. In den späten fünfziger und frühen sechziger Jahren war er ein führendes Mitglied der Attentätertruppe, die geflüchtete Nazis jagte. Er inszenierte den Terroristenkampf gegen deutsche Raketenwissenschaftler, die 1963-1964 für Ägypten arbeiteten.
Er scheint keine Familie zu haben, weder in Palästina noch anderswo.
Dickstein ist nicht an Alkohol, Rauschgiften oder Glücksspiel interessiert. Er hat keinerlei romantische Veranlagung, und seine Akte enthält die Vermutung, daß er infolge medizinischer Experimente, die Nazi-Wissenschaftler an ihm vornahmen, sexuell passiv ist.
Ich persönlich kannte Dickstein sehr genau in seinen Entwicklungsjahren 1947/48, als wir beide an der Universität Oxford studierten. Wir spielten zusammen Schach, ich legte seine Akte an und verfolgte seine spätere Karriere mit besonderem Interesse. Er scheint nun auf dem Gebiet zu arbeiten, auf das ich mich seit zwanzig Jahren spezialisiert habe. Ich bezweifle, daß es unter den 110 000 Angestellten unseres Komitees jemanden gibt, der so wie ich qualifiziert wäre, diesem imposanten zionistischen Agenten entgegenzutreten.
Ich empfehle deshalb, daß Sie mir den Auftrag geben,Dicksteins Mission aufzudecken und ihn, wenn nötig, auszuschalten.
(Unterschrift)
David Rostow
An:
Stellvertretenden Leiter, Europäische Abteilung
Von:
Vorsitzendem, Komitee für Staatssicherheit
Kopie:
Leiter, Europäische Abteilung
Datum:
24. Mai 1968
Genosse Rostow,
Ihre Empfehlung ist angenommen.
(Unterschrift)
Jurij Andropow
An:
Vorsitzenden, Komitee für Staatssicherheit
Von:
Leiter, Europäische Abteilung
Kopie:
Stellvertretender Leiter, Europäische Abteilung
Datum:
26. Mai 1968
Genosse Andropow,
ich beziehe mich auf den Austausch von Memoranden, der sich während meiner kurzen Abwesenheit in Staatsgeschäften in Nowosibirsk zwischen Ihnen und meinem Stellvertreter David Rostow abgespielt hat.
Natürlich stimme ich Genosse Rostows Sorge und Ihrer Billigung uneingeschränkt zu, aber ich glaube, daß es für seine Hast keine zwingenden Gründe gibt.
Als Außenagent hat
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