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Dreifach

Titel: Dreifach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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schien das zu haben, was ihrer Mutter gefehlt hatte: Wärme. Es tat Dickstein leid, daß er Suza nie wiedersehen würde. Wenn einmal Zeit wäre ...
    Nun, es sollte eben nicht sein.
    Als sie den Bahnhof erreichten, fragte er: »Fahren Sie manchmal nach London?«
    »Natürlich, morgen.«
    »Wozu?«
    »Um Sie zum Dinner zu treffen.«

    *

    Nach dem Tod von Suzas Mutter war ihr Vater großartig gewesen.
    Mit elf Jahren war sie alt genug, um den Tod zu begreifen, aber zu jung, um mit ihm fertig zu werden. Ihr Vater hatte sie beruhigt und getröstet. Er hatte gewußt, wann sie allein weinen und wann sie ihre besten Sachen anziehen wollte, um mit ihm zum Lunch zu gehen. Ohne jede Verlegenheit hatte er mit ihr über Menstruation gesprochen und sie gut gelaunt begleitet, um neue Büstenhalter zu kaufen. Er betraute sie mit einer neuen Rolle im Leben: Sie wurde die Hausherrin, die der Reinemachefrau Anweisungen gab, die Wäscheliste aufstellte und am Sonntagmorgen Sherry verteilte. Mit vierzehn war sie für die Finanzen des Haushalts verantwortlich. Sie kümmerte sich besser um ihren Vater, als Eila es je getan hatte. Sie warf abgetragene Hemden fort und ersetzte sie durch identische neue, ohne daß der Professor je etwas merkte. Sie erfuhr, daß man sich auch ohne Mutter lebendig, sicher und geliebt fühlen kann.
    Ihr Vater hatte ihr – genau wie ihrer Mutter – eine Rolle zugeteilt; und wie ihre Mutter hatte sie sich gegen die Rolle aufgelehnt, während sie sie weiterhin spielte.
    Er wollte, daß sie in Oxford blieb, um erst zu studieren, dann eine Dissertation zu schreiben und schließlich Dozentin zu werden. Das hätte bedeutet, daß sie immer dagewesen wäre, um ihn zu versorgen. Sie behauptete, nicht gescheit genug zu sein – mit dem unbehaglichen Gefühl,daß dies ein Vorwand war –, und nahm eine Stelle an, die erforderte, daß sie wochenlang von zu Hause fort war und ihren Vater sich selbst überließ. Hoch in der Luft, Tausende von Meilen von Oxford entfernt, servierte sie Männern in den besten Jahren Getränke und Mahlzeiten und fragte sich, ob sich wirklich etwas geändert hatte.
    Auf dem Weg zum Bahnhof grübelte sie über ihr eingefahrenes Leben nach und darüber, ob sie sich dem alten Trott je würde entziehen können.
    Sie hatte eine Liebesaffäre hinter sich, die wie ihr übriges Leben ermüdend und nach vertrautem Muster verlaufen war. Julian war Ende Dreißig, ein Philosophiedozent, der sich auf die Vorsokratiker spezialisiert hatte: brillant, hingebungsvoll und hilflos. Er nahm Drogen für alles Mögliche – Haschisch für den Sex, Amphetamine für die Arbeit und Mogadon für den Schlaf. Er war geschieden und hatte keine Kinder. Zuerst hatte sie ihn für interessant, charmant und attraktiv gehalten. Im Bett zog er es vor, wenn sie oben lag. Er führte sie in avantgardistische Theater von London und zu bizarren Studentenpartys. Aber bald machte ihr das alles keinen Spaß mehr: Sie erkannte, daß er sich nicht wirklich für Sex interessierte, daß er sie ausführte, weil sie an seinem Arm dekorativ wirkte, daß ihre Gesellschaft ihm nur deshalb zusagte, weil sie von seinem Intellekt so beeindruckt war. Eines Tages kam es so weit, daß sie seine Sachen bügelte, während er ein Seminar abhielt. Das war im Grunde das Ende.
    Manchmal ging sie mit Männern ihres Alters oder jüngeren ins Bett – hauptsächlich, weil sie ihre Körper begehrte. Sie war meistens enttäuscht und nach einiger Zeit gelangweilt.
    Suza bedauerte schon den Impuls, der sie verleitet hatte, sich mit Nat Dickstein zu verabreden. Er war deprimierend typisch: eine Generation älter als sie und offensichtlich der Fürsorge und Aufmerksamkeit bedürftig.Was das schlimmste war, er hatte ihre Mutter geliebt. Auf den ersten Blick war er eine Vaterfigur wie alle anderen.
    Aber irgendwie unterschied er sich von ihnen. Er arbeitete auf dem Lande, nicht an der Universität; wahrscheinlich würde er der am wenigsten belesene Mann sein, mit dem sie je ausgegangen war. Dickstein war nach Palästina emigriert, statt in den Cafés von Oxford zu sitzen und darüber zu reden. Er konnte eine Tiefkühltruhe mit der rechten Hand anheben. In der kurzen Zeit, die sie zusammen verbrachten, hatte er sie mehr als einmal dadurch überrascht, anders zu sein, als sie erwartete.
    Vielleicht hilft Nat Dickstein mir aus dem alten Trott, dachte sie.
    Und vielleicht mache ich mir wieder einmal etwas vor.

    *

    Nat Dickstein rief die israelische Botschaft aus einer

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