Dreikönigsmord (German Edition)
war er gar erfroren? Der Pförtner legte die Arme um ihn, um ihn hochzuziehen. Doch etwas Warmes, Klebriges bedeckte die Brust des Bettlers. Erschrocken ließ der Pförtner ihn los und wich zurück. Im spärlichen Licht, das durch den Türspalt nach draußen fiel, erkannte er, dass der Mann gar kein Bettler war, sondern die Kutte eines Dominikaners trug.
6. KAPITEL
o verbrachte eine unruhige Nacht. Immer wieder gellte ihr das Geschrei Pater Lutgers in den Ohren: »Diese Frau ist eine Hexe.« Wenn sie einmal kurz einschlief, suchte jener Albtraum sie heim, in dem sie als Hexe auf dem Scheiterhaufen geendet war.
Außerdem erinnerte sie sich nur zu gut daran, wie sie von der wütenden Menge auf dem Markt angegriffen worden war. Und überteuerte Preise und schlechte Ware galten ja im Mittelalter, verglichen mit dem Vorwurf der Hexerei, nur als Kinkerlitzchen.
In den frühen Morgenstunden kam ein starker Wind auf. Die Fensterläden klapperten, und das Gebälk des Hauses ächzte, was zusätzlich an Jos Nerven zerrte. Noch vor Anbruch der Morgendämmerung schleppte sie sich schließlich aus dem Bett und klopfte an Katreins Tür.
»Herrin«, die Magd erschien verschlafen mit einer Nachthaube auf dem Kopf im Flur, »ist etwas geschehen? Ihr seid doch hoffentlich nicht krank?«
»Nein, nein, es geht mir gut«, beruhigte Jo sie hastig. Wobei … gut war für ihren momentanen Zustand doch eine eindeutig zu positive Bezeichnung … »Ich habe mir überlegt, dass ich mich für ein paar Tage in das Kloster Waldungen zurückziehen möchte, um wieder zu mir selbst zu finden. Also ich meine, um Einkehr zu halten und Buße zu tun. Würdest du mir bitte etwas Brot rösten und einen Tee kochen? Ich möchte so bald wie möglich aufbrechen.«
»Gewiss, Herrin.« Katrein nickte. »Ich werde auch Heinrich wecken, damit er den Schlitten für Euch anspannt.«
Der Schlitten war zu gut bekannt in der Stadt … »Lass nur, das ist nicht nötig«, wehrte Jo ab. »Ich habe beschlossen, zu Fuß zu gehen. Ähm … um sozusagen gleich mit meiner Buße zu beginnen.«
Wieder einmal schluckte die Magd die aberwitzige Erklärung. »Wie Ihr wünscht, Herrin. Ich bringe Euch die Mahlzeit auf Euer Zimmer. Kleidet Euch inzwischen ruhig schon einmal an.«
»Und würdest du bitte Lutz Jäger benachrichtigen, dass ich mich in dem Kloster aufhalte?«
»Den Wirt der Grünen Traube ?« In dem dämmrigen Flur konnte Jo Katreins Gesicht nicht richtig sehen, aber das plötzliche Misstrauen in der Stimme der Magd war unüberhörbar. »Verzeiht, Herrin, aber Ihr müsst doch nicht etwa wegen diesem Mann Buße tun?«
»Nein, Katrein, ganz und gar nicht. Es besteht keinerlei sündiges Verhältnis zwischen uns.« Was ja nun wirklich der Wahrheit entsprach … Jo klopfte der Magd beruhigend auf den Arm. »Und nun beeil dich bitte.«
Jo schenkte sich die Morgenwäsche, auch wenn es viel angenehmer war, die nach Orangenöl duftende Seife zu benutzen als die widerliche Pottasche-Pampe.
Als sie ihre Kleider übergestreift hatte, kam Katrein auch schon mit dem Frühstückstablett in ihr Zimmer.
Jo aß hastig und ließ die Hälfte der gerösteten Brotscheibe übrig. Nachdem sie ihren Mantel angezogen und ihr Bündel umgehängt hatte, begleitete die Magd sie in die Halle – nicht ohne sie zu ermahnen, langsam zu gehen, um nicht ins Schwitzen zu geraten, ja ihre Mütze und ihre Handschuhe anzuziehen und es mit den Bußübungen nicht zu übertreiben.
»Ach, Katrein«, auf der Türschwelle umarmte Jo sie impulsiv und gab ihr einen Kuss auf die Wange, »danke für alles! Du warst mir eine große Hilfe. Ich weiß nicht, wie ich ohne dich in dieser Zeit zurechtgekommen wäre.«
»Herrin, was redet Ihr da schon wieder?« Die Magd schüttelte verwundert den Kopf. »Ihr tut ja gerade so, als ob Ihr für immer fortginget.«
Der Himmel allein wusste, wie sie aus dieser Hexerei-Kiste wieder herauskam … Jo schluckte. »Ich bin nur ein bisschen gefühlsduselig. Das ist alles.«
Das Licht draußen auf der Gasse war bleiern. Der Wind war eher noch stärker geworden und trieb die tiefhängenden Wolken rasend schnell vor sich her. Jo hielt die Kapuze ihres Mantels fest und kämpfte sich gegen die Böen voran. Sie wünschte, sie hätte den Schlitten nehmen können, denn der Weg zum Kloster würde bei diesem Wetter anstrengend werden.
Sie war nicht mehr weit vom südlichen Stadttor entfernt, als sie den Platz vor der Sebastianskirche queren musste. An die hundert Menschen
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