Dreikönigsmord (German Edition)
Sebastian gekniet. Wobei Jo diesen Heiligen nicht unbedingt um Hilfe gebeten hätte. Er war ein zierlicher Jüngling, der gewisse Ähnlichkeiten mit Johnny Depp aufwies, und wirkte ganz und gar nicht wie jemand, auf den man in schwierigen Lebenslagen bauen konnte.
Allmählich war Jo unruhig geworden, denn um fünf fand eine Messe statt, und kurz vorher würde sich das Gebäude wieder füllen. Aber nun endlich schien sie in dem großen, dämmrigen Raum mit den hohen Fenstern allein zu sein. Rasch spähte sie um sich. Ja, außer ihr befand sich niemand im Hauptschiff, und auch in den Seitenschiffen konnte sie keinen Menschen entdecken.
Jo hastete die Altarstufen hinauf und entzündete den Docht ihrer Lampe an der brennenden Kerze über dem Tabernakel – hoffentlich galt dies nicht als Sakrileg, aber in der Kirche war es mittlerweile viel zu dunkel, um Feinheiten erkennen zu können –, dann eilte sie zu der Statue des hübschen Jünglings. Es war schwierig, die Lampe in der einen und den Lesestein in der anderen Hand zu halten, aber sie schaffte es, den Lichtstrahl auf das Türchen im Sockel des Heiligen zu richten und gleichzeitig durch den geschliffenen Kristall zu blicken.
Tatsächlich, sie sah es ganz deutlich – neben dem Schloss befanden sich eindeutig zwei tiefe Kratzer, die nicht von einem Schlüssel herrühren konnten. Jo schloss den Schieber der Laterne und steckte sie in ihr Bündel. Nachdenklich blieb sie vor der Statue stehen. Dies war der vierte Reliquienschrein, der manipuliert worden war. Der heilige Sebastian blickte sie wissend an. »Ach, wenn du doch nur reden könntest«, murmelte sie.
»Was macht Ihr hier?« Eine keifende Stimme ließ Jo zusammenfahren. Pater Lutger stand neben ihr und starrte sie aufgebracht an.
»Oh, ich bete«, stotterte Jo.
»Ihr lügt. Ihr habt irgendetwas mit der Statue gemacht. Da!« Anklagend deutete er auf ihre linke Hand. »Gebt mir sofort dieses brennende Zaubermittel!«
Jo bemerkte, dass sie immer noch den Lesestein festhielt. Das Licht der Kerze auf dem Tabernakel brach sich in ihm und ließ ihn rötlich funkeln. Oh, verdammt … Hastig stopfte sie den geschliffenen Kristall in ihre Manteltasche. »Beruhigt Euch, das ist ein völlig harmloses Ding, eine Art Sehhilfe«, versuchte sie zu erklären.
Doch jedes Wort an den zornigen Pater war verschwendet. »Gebt es mir, damit Ihr nicht noch mehr Unheil damit anrichten könnt! Bestimmt habt Ihr versucht, die Statue des Heiligen in ein heidnisches Götzenbild zu verwandeln.«
Ihm den Lesestein überlassen – niemals …! Jo sprintete an ihm vorbei in Richtung des Portals.
Eigentlich wäre Jo viel schneller gewesen als der Pater, denn auch in ihrem mittelalterlichen Körper hatten sich das Joggen und das Krafttraining angespeichert, das sie jahrelang als Polizistin praktiziert hatte. Doch am Haupteingang drängte sich ihr eine Gruppe von Kirchgängern entgegen. Bis sie sich durch die Leute hindurchgeschoben und den Vorplatz erreicht hatte, hatte sie der Pater eingeholt.
»Das Zauberding, gottloses Weib! Auf der Stelle händigt Ihr es mir aus«, kreischte er und versuchte, Jos Arm zu packen.
Ganz automatisch wandte sie einen Aikido-Griff an. Sie wich dem Pater aus, dann fasste sie nach seiner Hand, unterlief ihn und ließ ihn wieder los. Von seinem eigenen Schwung getragen, taumelte er einige Meter weiter und stürzte in den Schneematsch.
Erst jetzt bemerkte Jo die gut zwei Dutzend Menschen auf dem Kirchplatz. Alle waren stehen geblieben und starrten sie verblüfft und entsetzt an. Zeit, schleunigst das Weite zu suchen … Während Jo losrannte, hörte sie Pater Lutger hinter sich herschreien: »Ihr alle seid meine Zeugen! Dieses Weib ist eine Hexe. Sie hat einen Zauberspruch angewendet und mich durch die Luft geschleudert. Auch das heilige Gotteshaus hat sie mit ihren dämonischen Kräften in einen Ort des Bösen verwandelt.«
»Was wirst du jetzt machen? Jörg Schreiber eins auf die Nase geben?«, fragte Herbert. Er trug einen schmuddeligen Verband um seinen Kopf. Lutz saß zusammen mit ihm, einigen anderen Kumpels und Peter, dem Stadtsoldaten, in der Grünen Traube . Fast alle hatten sie bei dem Kampf Blessuren erlitten. Schnittwunden und Prellungen – Lutz hatte ein Messer am Oberschenkel gestreift –, aber gottlob war keinem etwas Schlimmeres zugestoßen.
Schreibers Leute hatten wohl nicht mit der entschiedenen Gegenwehr der beiden Fußballmannschaften gerechnet und auch nicht damit, dass Peter mit
Weitere Kostenlose Bücher