Dreikönigsmord (German Edition)
Sebastianskirche aufhielt, hörte er plötzlich das wütende Gebrüll: »Hexe, Hexe! Fangt die Zauberin!« Eine große Menschenmenge musste Josepha Weber entdeckt haben und sie jagen. Der Junge wusste, wie es war, verfolgt zu werden, und dass es besser war, zornigen Menschen nicht in die Quere zu kommen. Hastig wich er in eine der Seitenstraßen aus. Nur weg von dem Aufruhr, sich irgendwo verkriechen …
Der Junge hatte sich eben einen schmalen Durchgang entlanggedrückt und spähte um eine Hausecke, als er weiter unten in der Gasse Josepha Weber entdeckte. Sein Herz zog sich vor Schrecken zusammen. Ein Mann auf einem riesigen schwarzen Pferd verfolgte sie. Da – nun hatte der Mann sie eingeholt und zerrte sie zu sich, auf den Rücken des Tiers.
Gleich darauf sprengte der Mann mit Josepha Weber in seinen Armen an ihm vorbei. Der Reiter war Bischof Leonard. Ohne nachzudenken rannte der Junge ihm nach, um eine Wegbiegung herum, bis seine Seiten vor Schmerzen brannten und er kaum noch atmen konnte. Keuchend blieb er stehen. Seine Augen füllten sich mit Tränen. Als er schniefend den Kopf hob, sah er, dass er sich auf dem Platz vor dem Bischofspalast befand. Die mächtigen Torflügel schlossen sich hinter dem Bischof und Josepha Weber. Was würde nun mit ihr geschehen?
»He, wach auf!«
Stöhnend wälzte sich Lutz auf die andere Seite. Jemand rüttelte an ihm. Sein Schädel dröhnte, und seine Augenlider fühlten sich an, als ob auf ihnen bleischwere Gewichte lasteten. »Noch zehn Minuten«, murmelte er.
»Aufwachen!«
Er blinzelte. Das Licht, das durch einen Spalt in dem hölzernen Fensterladen fiel, bohrte sich schmerzhaft in seinen Schädel. Am vergangenen Abend hatten er und seine Freunde die Instandsetzung des Daches ausgiebig gefeiert. Wahrscheinlich zu ausgiebig … Nun sah er, dass Herbert vor seinem Bett stand. Trotz seiner Benommenheit erkannte Lutz, dass der Freund völlig aufgelöst wirkte. »Was ist denn los?«, krächzte er. »Doch hoffentlich nicht schon wieder dieser verdammte Schreiber?«
»Nein, Pater Lutger wurde umgebracht. Es heißt, Josepha Weber habe ihn ermordet.«
»Was?« Lutz setzte sich abrupt auf und hoffte, dass er sich nur in einem wirren Albtraum befand.
»Ja, die Leute halten sie für eine Hexe. In der Stadt wird überall Jagd auf sie gemacht.«
»Ach du Scheiße …« Er fuhr sich über das stoppelige Gesicht. »Seit wann weißt du das?«
»Seit Stunden …« Herbert fuhr ihn gereizt an. »Nein, Herr im Himmel, ich hab’s gerade eben auf der Straße gehört.«
»Scheiße …«
»Ja, Scheiße …«
Torkelnd erhob sich Lutz, dann wankte er die Treppe hinunter. In der Küche goss er sich einen Eimer kaltes Wasser über den Kopf. Endlich konnte er wieder klar denken. Herbert war ihm gefolgt. Ebenso ein paar Kumpels, die während der Nacht die Grüne Traube bewacht hatten, für den Fall, dass Schreibers Leute noch einmal angreifen sollten. Seine Freunde blickten ihn erwartungsvoll an.
»Wir müssen sofort nach Jo … Josepha suchen«, bestimmte Lutz. »Am besten wir verteilen uns in der Stadt.« Kein wirklich ausgereifter Plan, aber etwas Besseres fiel ihm nicht ein.
»Gut, aber du solltest darauf achten, dass dich Schreibers Kumpane nicht erkennen«, bemerkte Herbert trocken. »Es nutzt Josepha nichts, wenn sie dich zusammenschlagen oder gar töten.«
»Ich pass schon auf mich auf«, wehrte Lutz ab und überprüfte, ob sein Messer im Gürtel steckte – seine Dienstwaffe wäre ihm viel lieber gewesen. Im Schankraum zerrte er seinen Mantel vom Haken neben der Feuerstelle. Er hatte eben die Kapuze übergeschlagen, als der magere blonde Betteljunge sich in den Schankraum schob und unsicher neben der Tür stehen blieb.
»Tut mir leid, Kleiner.« Lutz schüttelte den Kopf. »Ich habe jetzt keine Zeit für dich.«
»Ihr … Ihr kennt doch Josepha Weber …«, stammelte der Junge. »Die Leute glauben, dass sie eine Hexe ist.«
»Ja, ich weiß.«
»Ich … ich habe sie vorhin gesehen.«
»Wo?« Lutz fasste ihn ungeduldig bei den Schultern. »Nun sag schon!«
Der Junge sah ihn aus großen Augen an. »Bischof Leonard hat sie auf sein Pferd gehoben und ist mit ihr davongeritten.«
Wie Ivanhoe und Marian – oder waren es Robin Hood und Marian gewesen? – war Leonard mit ihr durch das Tor des Bischofspalasts geprescht. Dann hatte er sie in seine Gemächer getragen und seinen Medicus beauftragt, nach ihr zu sehen. Gregorius war Jo, wie schon das letzte Mal, als sie mit ihm zu
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