Dreikönigsmord (German Edition)
Heißluftballon nicht steuern …«
»Nun, der Wind wird in den nächsten Tagen voraussichtlich gleichmäßig von Ost nach West wehen«, mischte sich die Äbtissin ein.
»Woher wollt Ihr das wissen? Google Wetter könnt Ihr ja nicht konsultiert haben«, musste Jo einfach bemerken.
Die Äbtissin bedachte sie mit einem tadelnden Blick. »Ich habe heute Morgen mit Schwester Constantia über das Wetter gesprochen. Es ging um den besten Zeitpunkt für die Aussaat des Frühjahrsgemüses. Sie besitzt in solchen Dingen eine Art siebten Sinn und irrt sich höchst selten.«
Lutz grinste Jo an. »Siehst du? Ich habe dir doch schon öfter gesagt, dass du dazu neigst, die Dinge zu pessimistisch zu betrachten. Wind aus dieser Himmelrichtung ist perfekt. Schließlich liegt die Stadt von hier aus genau im Westen.«
Wieder klopfte die Äbtissin mit ihrem Stab auf den Boden, während sie sich Lutz zuwandte. »Wie wollt Ihr diese riesige Schweinsblase denn anfertigen?«
»Sie müsste aus Stoffen genäht werden.«
»Gut, dazu werde ich meine Nonnen abstellen. Sie werden Euch auch einen Korb flechten, so groß, wie Ihr ihn braucht.«
»Einen fähigen Schmied benötige ich außerdem.« Lutz nickte ihr zu. »Und eine Substanz, die mich wach hält. Ich werde die Nacht durcharbeiten und Berechnungen wegen des Ballonvolumens und des Gewichts des Korbs anstellen müssen. Habt Ihr nicht vielleicht einen Joint für mich?« Hastig fügte er hinzu, als er Jos finstere Miene sah: »War nur ein kleiner Scherz.«
Der Himmel war immer noch klar. Der Wetterhahn auf dem rechten Turm der Klosterkirche zeigte nach Westen. Während Jo über das Klostergelände ging, kontrollierte sie wieder einmal die Windrichtung, wie häufig in den vergangenen Tagen. Aus der Schmiede drang ein gleichmäßiges Hämmern. Dort wurden nach Lutz’ Anleitung lange Eisenstangen angefertigt, an denen die beiden Ballonhüllen aufgehängt werden sollten. Ja, tatsächlich benötigten sie zwei Ballone. Denn in einer langen Beratung in der vergangenen Nacht hatte sich der Plan herauskristallisiert, dass Peter und ein Trupp seiner Stadtsoldaten sie gewissermaßen als Back-up in einem anderen Ballon begleiten würden.
In der Scheune flocht eine Gruppe Nonnen zwei riesige Körbe, und im Kapitelsaal waren unterdessen mehr als vierzig Schwestern damit beschäftigt, die Hüllen zu nähen. Dabei, so war es Jo erschienen, wurden fast sämtliche Stoffvorräte des Klosters verarbeitet. Sie hatte selbst versucht, beim Nähen zu helfen, war dann jedoch von der älteren Nonne, die die Arbeit koordinierte, höflich, aber entschieden aus dem Raum komplimentiert worden, nachdem sie Jos schiefe Naht mit den unregelmäßigen Stichen gesehen hatte. Jos Fähigkeiten, hatte die Schwester gemeint, würden sicher woanders besser zur Geltung kommen.
Noch immer erschien Jo das Vorhaben, mit Hilfe eines Heißluftballons nach Ebersheim zu gelangen, völlig irrwitzig. Immerhin, dachte sie sarkastisch, ist der Einsatzplan verblüffend einfach. Keine komplizierten Zeitabläufe müssen festgelegt und eingehalten werden. Keine Einsatzwagen mit aufwendiger Technik werden benötigt. Nein, Lutz, ich und einige Stadtsoldaten werden mit dem einen Ballon, Peter, Herbert und weitere Soldaten mit dem anderen zur Stadt fliegen.
Starten würden sie etwa eine halbe Stunde vor Beginn der Dreikönigsmessen. Denn so lange, so hatte es Lutz auf zig Wachstäfelchen berechnet, würde der Flug ungefähr dauern. Wenn sie also die Stadt erreicht hatten, würde sich kaum ein Mensch mehr auf den Straßen befinden. Von ihrem Landeplatz aus – wo auch immer der sich befinden mochte – würden sie sich dann zur Gertrudiskirche durchschlagen. Peter, der als Kind im Chor gesungen und viel Zeit in der Kirche verbracht hatte, kannte dort einen versteckten Eingang, der, so nahm er an, nicht streng bewacht werden würde. Durch ihn wollten sie versuchen, in die Kirche zu gelangen. Wo dann erst ihr eigentliches Himmelfahrtskommando beginnen würde. Alles andere war nur das Vorspiel gewesen.
Hinter einer nahen Mauer sah Jo nun eine riesige, buschige Eibe. Sie hatte ihr Ziel, den Klosterfriedhof, erreicht. Der Schnee lag in kleinen Hügeln auf den Gräbern. Da und dort lugten einfache viereckige Steine unter der weißen Decke hervor. Jo folgte einem der Trampelpfade, der sie zur hintersten Reihe der Gräber führte. Bei einem Holzkreuz blieb sie stehen. Anselms Grab lag im Schatten einer anderen, jüngeren Eibe. Da und dort hingen
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