Dreikönigsmord (German Edition)
so fest in die Keule gerammt, dass er sich versehentlich mit der Spitze in den rechten Daumen gepikt hatte. Es war einfach völlig absurd, dass er sich wegen des Steinmetzen Gedanken machte. Jo war eine Kollegin, die er während der letzten aufregenden und aufreibenden Wochen sehr zu schätzen und respektieren gelernt hatte … Und der Steinmetz war in eine Frau verliebt, die über sechshundert Jahre älter war als Jo …
Eine junge Nonne trat nun in die Küche und brachte einen Schwall kalter Luft mit sich. Sie lächelte Lutz an. »Die Krankenschwester lässt Euch ausrichten, dass Josepha Weber aufgewacht ist und Euch gerne sehen möchte. Außerdem meint die Krankenschwester, dass Josepha etwas essen sollte.«
Na, das war ja ein gutes Zeichen … »Bin schon auf dem Weg.« Lutz gab Haferbrei aus dem Bronzekessel über der Feuerstelle in eine Schüssel. Dann hängte er sich ein sauberes Leinentuch über den Unterarm und eilte mit der Schüssel voll Haferbrei davon.
»So, hier kommt der Zimmerservice, guten Morgen.« Lutz verneigte sich galant, als er Jos Kammer betrat.
»Ha ha, sehr witzig …« Jo saß im Bett und hatte die Beine unter der bunt gestreiften Wolldecke angewinkelt. Die meisten Schrammen in ihrem Gesicht waren gut verheilt, aber ihre Nase war immer noch angeschwollen und rot-blau verfärbt. Es war nicht zu übersehen, dass sie sehr schlechte Laune hatte.
»Wenn du erlaubst …« Lutz breitete das Leinentuch über ihren Schoß, dann reichte er ihr die Tonschüssel.
»Was ist das denn?« Misstrauisch beäugte sie den Inhalt.
»Gekochter Haferbrei, eine Art Porridge, mit Honig, Milch und Sahne zubereitet und eigenhändig von mir im Kessel gerührt.« Er setzte sich auf eine Truhe neben dem Bett.
»Seit einem Schulaufenthalt in Brighton hasse ich die englische Küche.« Immerhin nahm Jo den Löffel, der in dem Brei steckte, in die Hand und begann, vorsichtig zu essen.
Lutz stellte fest, dass er es mochte, Jo beim Essen zuzusehen, besonders, wenn sie hungrig war. Sie hatte dann immer so einen selbstvergessenen Gesichtsausdruck. Beinahe, als ob sie Sex hätte. Aber was dachte er da? Er bewegte sich unbehaglich.
Nachdem Jo den Haferbrei verspeist hatte, setzte sie die Schüssel mit einem Rums auf dem Steinboden ab und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich hätte nie gedacht, dass ich mich danach sehnen würde, in einem Krankenhauszimmer zu mir zu kommen, Neonröhren zu sehen und dieses ekelhafte Desinfektionsmittel zu riechen«, sagte sie wütend. »Aber inzwischen wäre das, glaube ich, der glücklichste Tag meines Lebens. Was soll das überhaupt? Der Fall ist gelöst. Wir wissen, wer Anselm getötet hat. Warum sind wir also noch hier?«
Lutz kratzte sich unbehaglich am Kinn. »Darüber habe ich schon mit der Äbtissin gesprochen. Sie meinte, den Mörder ausfindig gemacht zu haben, würde noch nicht ausreichen, um unseren Bann – oder was auch immer uns hier hält – zu lösen. Unsere entscheidende Prüfung stünde erst noch bevor. Ich dachte, dass sie am besten uns beiden zusammen erklärt, worum es sich dabei handelt, und habe deshalb nicht weiter nachgefragt.«
»Hört sich wirklich super an: entscheidende Prüfung …« Jos Stimme klang bitter, während sie gereizt mit der Hand auf die Decke schlug. Als sie nach einigen Momenten weiterredete, war ihr Tonfall etwas milder: »Wie hast du es eigentlich geschafft, mich aus meinem Gefängnis im Bischofspalast herauszuholen? Leonard hat mich doch bestimmt streng bewachen lassen.«
»Na ja, gewissermaßen haben meine Freunde und ich ein vorgezogenes Silvesterfeuerwerk veranstaltet …« Lutz begann zu erzählen. Die Befreiungsaktion kam ihm mittlerweile selbst völlig irreal vor.
»Raketen, also wirklich. Was für eine verrückte Idee …« Jo lachte, als er geendet hatte. Schlagartig legte sich jedoch wieder ein Schatten über ihre Miene. »Dieser Irre hätte mich tatsächlich auf einem Scheiterhaufen verbrennen lassen, wenn du mich nicht gerettet hättest«, sagte sie leise. »So etwas würde noch nicht einmal dem größten Psychopathen der Gegenwart einfallen. Kein Polizeipsychologe wird mir das jemals glauben.«
»Es ist vorbei …«, entgegnete Lutz sanft. »Quäl dich doch nicht damit.«
Jo starrte einige Augenblicke mit leerem Gesichtsausdruck auf ihre Hände, was in Lutz den Impuls weckte, sie in die Arme zu nehmen. Eine plötzliche, ihm fremde Schüchternheit hielt ihn jedoch davon ab.
»Einen Spiegel …«, hörte er Jo
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