Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dreikönigsmord (German Edition)

Dreikönigsmord (German Edition)

Titel: Dreikönigsmord (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bea Rauenthal
Vom Netzwerk:
er bat nicht darum. Menschen, denen das Leben übel mitgespielt hat – und das, vermute ich, war bei diesem Jungen der Fall –, verstummen nicht selten und wagen es nicht mehr, um etwas zu bitten. Ich schätze, in der Zeit, aus der Ihr kommt, verhält es sich damit nicht anders.«
    »Ja, da habt Ihr recht«, erwiderte Lutz Jäger sanft.
    »Und woher wissen Sie … wisst Ihr …, dass der Junge in der Scheune schlief?«, ergriff Jo wieder das Wort.
    »Unsere Köchin, Schwester Constantia, hat ihn beobachtet. Sie mochte den Jungen und ließ ihn gewähren.«
    »Ihr hat er auch nichts anvertraut?«
    »Nur, dass er sich gelegentlich in der Stadt ein paar Münzen verdiente. Aber er sagte ihr nicht, mit welcher Arbeit.«
    »Was ich nicht verstehe«, Jo schüttelte den Kopf, »von Ebersheim bis hierher ist man zu Fuß bestimmt eine Stunde unterwegs. Warum hat der Junge nicht in der Stadt um eine Mahlzeit gebettelt oder sich einen Schlafplatz gesucht? Warum hat er den weiten Weg auf sich genommen?«
    »Wie ich Euch bereits sagte, die Köchin mochte den Jungen. Gelegentlich erlaubte sie ihm, in die Küche zu kommen, wo er dann meist still in einem Winkel am Feuer saß und schnitzte. Dabei hat er sich wohl in eine unserer jungen Nonnen – Schwester Irmhild – verliebt. Einige Tage, ehe er ermordet wurde, hat er ihr dies geschenkt.« Die Äbtissin drehte sich um. Sie nahm etwas aus einem mit ledergebundenen Büchern und Pergamentrollen bestückten Regal, das hinter ihr an der Wand stand, und legte es dann vor Jo und Lutz Jäger auf den Tisch.
    Ein kleiner Holzhase. Jo nahm das geschnitzte Tier vorsichtig in die Hand. Die Proportionen stimmten nicht ganz, und doch wirkte es lebendig und anrührend. Darf die junge Nonne denn noch nicht einmal dieses an sich wertlose Geschenk behalten?, dachte sie ärgerlich. Als sie aufsah, trafen sich ihr Blick und der der Äbtissin. Die alte Frau hob belustigt die Augenbrauen. »Ich habe mir den Hasen nur ausgeliehen«, sagte sie, als hätte sie Jos Gedanken gelesen.
    Lutz Jäger räusperte sich. »Dieser Schwester Irmhild hat der Junge also auch nichts von sich erzählt?«
    Die Äbtissin lächelte ein wenig. »Nein, er war wohl einfach nur glücklich, sich in ihrer Nähe aufhalten zu können. Und da daraus für niemanden ein Leid entstand, sah ich auch keinen Anlass, ihr Zusammentreffen in der Küche zu unterbinden.«
    »Ihr seid über das, was in Eurem Kloster vor sich geht, also stets gut informiert?«, warf Jo ein wenig spöttisch ein.
    »Das halte ich für meine Pflicht.« Die Augen der alten Frau funkelten.
    Lutz Jäger sah von Jo zu der Äbtissin, ehe er rasch sagte: »Ehrwürdige Mutter … Könnt Ihr uns bitte schildern, wann und wie der Leichnam des Jungen gefunden wurde?«
    Die Äbtissin lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. »Nun, wie ich schon Josepha berichtet habe« – Jo zuckte ein wenig zusammen, außer ihrer Großmutter nannte niemand sie so –, »fand unsere Köchin den Toten. Nach der Morgenmahlzeit ging sie wie immer zu den Ställen, um die Essensreste und Abfälle vom Vortag an die Schweine zu verfüttern. Sie rief mich dann gleich …«
    »Auch wenn Euch meine Frage seltsam oder erschreckend erscheint«, sagte Lutz Jäger, »würdet Ihr uns nun bitte den Leichnam beschreiben …«
    »Junger Mann …« Äbtissin Agneta bedachte ihn mit einem ihrer scharfen Blicke, während sie mit der flachen Hand auf den Tisch schlug, »… ich lebe schon lange auf dieser Welt und habe einige kriegerische Auseinandersetzungen erlebt. Schlimm zugerichtete Leichen sind für mich leider nichts Fremdes. Der Junge lag auf dem Rücken, in einer großen Lache gefrorenen Bluts. So tief wie der Schnitt in seiner Kehle war, bestand überhaupt kein Zweifel daran, dass er tot war. Ich habe ihm dann die Augen geschlossen.«
    Stadium der Leichenstarre , dachte Jo. Ungefährer Todeszeitpunkt … Natürlich würden sie dies nie erfahren.
    »Jedenfalls muss der Junge nach neun Uhr am Abend ermordet worden sein«, bemerkte die alte Frau sachlich.
    »Woher wisst Ihr das?«, fragte Jo überrascht.
    »Nach der Komplet unternimmt unsere Cellerarin immer einen Rundgang über das Klostergelände und überzeugt sich, dass alle Türen geschlossen sind. Als sie in der Nacht ihren Rundgang durchführte, lag der Leichnam noch nicht bei den Stallungen.«
    »Könnte der Leichnam bewegt worden sein?«, fragte Lutz Jäger.
    Jo begriff, worauf er hinauswollte.
    »Ihr meint, ob er an einem anderen Ort getötet wurde?«

Weitere Kostenlose Bücher