Dreikönigsmord (German Edition)
dem Kamm den frisch eingeschossenen braunen Faden gegen das am Warenbaum befestigte Tuch. »Ja, sie hat sich von Heinrich den Schlitten anspannen lassen. Warum fragst du?«
»Ach, ich wollte wegen einer Wolllieferung mit ihr sprechen«, wiegelte Georg rasch ab. Während er zu seinem eigenen Webstuhl ging und auf den Sitz rutschte, dachte er, dass er künftig aufmerksamer sein musste. Die Brüder seines früheren Herrn hatten ihm eine ansehnliche Geldsumme versprochen, falls er ihnen kompromittierende Neuigkeiten über ihre Schwägerin lieferte. Außerdem hatten sie ihm in Aussicht gestellt, dass er – wenn ihnen erst einmal die Weberei und das Handelsgeschäft gehörten – zum Meister und Teilhaber werden könne.
Die Luft schwirrte vom Klacken der Holztritte auf dem Steinboden. Mit einem dumpfen Geräusch schlugen die Kämme gegen die Warenbäume. Die acht Webstühle in dem langgestreckten Raum mit den weiß gekalkten Wänden waren alle in Betrieb, denn die Nachfrage nach den Stoffen war groß. Schließlich war das Tuch, das hier gefertigt wurde, bekannt für seine ausgezeichnete Qualität. Ebenso wie der Wein und das Getreide, die in den Wirtschaftsgebäuden und in den Kellern lagerten.
Nein, es war nicht gerecht, dass dies alles einer Frau gehörte. Georg schwor sich, dass er bald seinen Anteil daran bekommen würde.
Ungeduldig ging Jo vor den Gemächern der Äbtissin auf und ab. Eine junge Nonne hatte sie und Lutz Jäger vor einer geraumen Weile hierhergeführt. Sie hatte ihnen mit leiser Stimme eröffnet, die »ehrwürdige Mutter« sei in ihre Gebete vertieft und wolle nicht gestört werden. Dann war sie entschwunden. Seitdem warteten sie nun. Lutz Jäger schien dies nichts auszumachen. Er hatte es sich auf einer breiten Truhe bequem gemacht und betrachtete interessiert eine blattartige Verzierung in dem steinernen Fenstersturz. Es war seltsam gewesen, mit ihm zusammen im Schlitten zu dem Kloster zu fahren, und ebenso merkwürdig, nun mit ihm hier zu sein.
Einen Mordfall im Mittelalter aufklären, um wieder in die Gegenwart zurückkehren zu können … Noch immer konnte Jo nicht wirklich glauben, was hier eigentlich vor sich ging.
»Die ehrwürdige Mutter ist nun bereit, Euch zu empfangen.« Die junge Nonne war wieder herbeigeschwebt und öffnete einen der wuchtigen Türflügel.
»Zu gütig …«, murmelte Jo.
»Danke Euch.« Lutz Jäger schenkte der Nonne ein Lächeln, das diese, wie Jo im Vorbeigehen sah, tatsächlich erröten ließ.
Die Äbtissin saß in einem Lehnstuhl hinter einem schweren, dunklen Holztisch. Sie musterte Jo auf ihre durchdringende Art, ehe sie knapp bemerkte: »Ihr seid also zurückgekommen. Gehe ich recht in der Annahme, dass Ihr Euch nun doch dafür entschieden habt, den Mord an dem jungen Mann zu sühnen?«
»Ich würde eher sagen, aufzuklären«, erwiderte Jo, während sie sich auf eine Handbewegung der Äbtissin hin auf einem Stuhl vor dem Tisch niederließ. »Und da Ihnen dieser Mordfall so sehr am Herzen liegt, hätte ich eigentlich gedacht, dass Sie sofort mit uns reden würden – statt uns warten zu lassen.«
»Gebete haben ihre eigene Wichtigkeit«, erklärte die Äbtissin trocken. Sie sah Lutz Jäger forschend an, ehe sie ihre Aufmerksamkeit wieder Jo zuwandte. »Ihr habt einen Mann mitgebracht …«
»Ja, er stammt aus meiner Zeit. Er ist mein Kollege … Das bedeutet, wir arbeiten zusammen …«
»Dieser Mann verdient seinen Lebensunterhalt also auch damit, Verbrechen aufzuklären?«
»Genau. Ich heiße übrigens Lutz Jäger.« Er beugte sich vor und lächelte die Äbtissin gewinnend an. »Ehrwürdige Mutter, was könnt Ihr uns über den Ermordeten sagen? Bitte versucht, Euch an jede Einzelheit zu erinnern. Auch wenn sie Euch unwichtig erscheinen mag.«
»Nun, leider nicht viel.« Sie seufzte. »Ich habe ihn nie lebend gesehen und weiß kaum mehr, als dass er Anselm hieß. Wahrscheinlich war er um die sechzehn oder achtzehn Jahre alt. Von meiner Warte aus war er also noch ein Junge … In den letzten Wochen kam er immer wieder einmal hierher und stand mit den Armen und Bettlern für eine Mahlzeit an. Außerdem versteckte er sich seit Anbruch der Kälte hin und wieder in der Scheune, wo er im Heu schlief.«
»Er versteckte sich? Das heißt, Sie hätten es ihm nicht erlaubt, im Kloster zu übernachten?« Jos Stimme klang schärfer, als sie beabsichtigt hatte.
»Natürlich hätte ich es ihm erlaubt.« Die Äbtissin ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Aber
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