Dreikönigsmord (German Edition)
»Schmeckt wirklich gut«, sagte sie schließlich, nachdem sie gekostet hatte. Sie meinte es ehrlich und beschloss, die vielen Kalorien, die das Gericht ganz bestimmt hatte, zu ignorieren.
»Tja, wenn ich nicht zur Polizei gegangen wäre, wäre ich wohl Koch geworden.«
»Und warum haben Sie sich schließlich für die Polizei entschieden?«
»Wahrscheinlich, weil ich als Kind vom Räuber-und-Gendarm-Spielen so begeistert war.«
Jo warf Lutz Jäger einen raschen Blick zu, ehe sie sich wieder der Suppe widmete. Überraschung … Hinter seinem aufs Erste so einfach gestrickten Charakter verbargen sich also doch noch komplexere Wesenszüge. Weshalb war sie zur Polizei gegangen? Um ihre Mutter zu ärgern, die sich von Jos Vater, einem stellvertretenden Polizeipräsidenten, getrennt hatte, als Jo ein Jahr alt gewesen war? Weil sie so gegen die Familientradition hatte rebellieren können, dergemäß man entweder Richter oder Arzt wurde? Oder weil sie, wie es in ihrem Diensteid geheißen hatte, der Gerechtigkeit dienen wollte?
Während Jo aß, wischte Lutz Jäger die Regale neben der Feuerstelle mit einem nassen Tuch ab. Sie leerte die Schale bis auf den letzten Rest und stellte sie vor sich auf den Boden. »Also, wie, schlagen Sie vor, sollen wir vorgehen?«
»Na, wie schon?« Er wrang den Lappen aus und hängte ihn über den Rand eines Holzeimers. »Sie haben doch gesagt, dass der Leichnam des jungen Mannes in einem der Klostergebäude liegt. Folglich sollten wir als Erstes einmal ihn in Augenschein nehmen.«
»Super Vorschlag … Wir untersuchen die Leiche und sichern die DNA des möglichen Täters. Darf ich Sie daran erinnern, dass wir uns in einer Zeit weit vor den allerersten Anfängen der Spurensicherung befinden? Genau genommen Jahrhunderte, bevor der Fingerabdruck als Beweismittel entdeckt und eingeführt wurde? Wahrscheinlich gab es im Mittelalter noch nicht einmal Lupen.«
Lutz Jäger schüttelte den Kopf. »Sie betrachten alles immer so pessimistisch. Wie mein alter Ausbilder bereits sagte: Augen und Ohren sind die wichtigsten Werkzeuge eines jeden Kriminalbeamten.«
»Wann haben Sie denn Ihre Ausbildung absolviert? In den Fünfzigerjahren?«
Er ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Außerdem haben wir die Möglichkeit, Zeugen zu befragen.«
»Die Äbtissin meinte, der junge Mann stamme nicht aus der Stadt.«
»Na und? Irgendjemand wird bestimmt etwas über ihn wissen.«
»Darf ich Sie daran erinnern, dass die Menschen hier völlig anders denken als wir …«
»Oh, meine Kneipengäste unterscheiden sich nicht besonders von meinen Kumpels.« Lutz Jäger grinste. »Lassen Sie uns heute Nachmittag zu dem Kloster fahren. Je eher wir mit unseren Ermittlungen anfangen, desto besser.«
Insgeheim musste ihm Jo recht geben. Warum nur sträubte sich immer noch alles in ihr gegen diesen Fall? »Gut«, gab sie schließlich nach. »Aber wir müssen uns getrennt auf den Weg machen. Ich bin eine Witwe und muss auf meinen Ruf achten.« Sie brach ab. Was redete sie da …? »Fangen Sie jetzt bloß nicht an zu lachen«, sagte sie drohend.
»Nein, nein, niemals …« Um Lutz Jägers Mundwinkel zuckte es. »Ich verstehe Ihre Situation natürlich vollkommen und würde Sie niemals kompromittieren.«
»Ich schlage vor, dass wir uns außerhalb der Stadt treffen. An dem Weg zu dem Kloster, unterhalb der Weinberge, wächst eine alte Linde. Um zwei Uhr …« Ach verflixt, wie verabredete man sich im Mittelalter zu einer bestimmten Uhrzeit?
Lutz Jäger bemerkte ihr Zögern. »Liebe Kollegin, es gibt tatsächlich Kirchturmglocken. Um Schlag zwei Uhr werde ich an der Linde auf Euch warten und nicht von dort weichen, ehe Ihr erscheint …« Er runzelte die Stirn. »Eine Frage noch: Sie haben von ›fahren‹ gesprochen. Ein Auto meinten Sie in diesem Zusammenhang ja aber wohl nicht?«
»Nein, einen Schlitten. Ich habe es als Kind gelernt, mit Gespannen zu fahren.«
»Oh …« Lutz Jägers Erstaunen tat Jo gut.
»Denken Sie daran, es ist eine echte Chance, zu den Basics der Polizeiarbeit zurückzukehren«, rief er ihr nach, als sie die Türschwelle erreicht hatte.
Wahrscheinlich glaubt er das auch noch wirklich , dachte Jo entnervt, während sie die Tür hinter sich schloss.
»Die Herrin ist weggefahren? Allein?« Später am Nachmittag konnte der Obergeselle Georg nur mit Mühe seine Aufregung verbergen.
Hans, sein Vertreter, ein rundlicher Mann, betätigte die Tritte seines Webstuhls und drückte dann gemächlich mit
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