Dreikönigsmord (German Edition)
der blanken Wut gewichen. Blitzschnell fasste sie in die Falten ihres Rocks. Sie zog ein kleines Messer daraus hervor und richtete es auf Jo. »Raus hier, sofort!«
»Legen Sie die Waffe weg!«, befahl Jo automatisch.
»Raus.« Greta ging einen Schritt auf sie zu. Jo riss ihr Bein hoch und trat mit dem Fuß gegen das Handgelenk der Prostituierten. Greta stieß einen Schmerzenslaut aus. In hohem Bogen segelte das Messer durch die Luft und bohrte sich dann in ein Wandbrett. Langsam ließ sich Greta auf einen Stuhl sinken, während sie das Gelenk mit der unversehrten Hand umklammerte. »Ihr seid eine Zauberin …«, stammelte sie mit weit aufgerissenen Augen.
»Nein, das bin ich nicht.« Jo setzte sich ihr gegenüber, wobei sie hoffte, dass Wanzen nur in Stoffen und nicht in irgendwelchen Holzritzen hausten. »Ich habe eben einfach eine Kampftechnik angewendet. In meiner Zeit kann man so etwas lernen …«
Noch immer starrte Greta sie mit aufgerissenen Augen an. »Lutz kam mir so fremd vor«, flüsterte sie schließlich. »Er war es. Und er war es doch nicht. Deshalb dachte ich, er hätte sich in eine andere Frau verliebt. Aber es kann doch nicht sein, dass Ihr aus einer anderen Zeit kommt … Und wenn dies so wäre … Wo ist dann der Lutz, den ich kenne?«
»Das weiß ich nicht. Ebenso wenig weiß ich, wo mein anderes Ich sich zurzeit befindet.« Jo fuhr mit dem Finger einen Riss in der groben Tischplatte nach. »Agneta – die Äbtissin des Klosters Waldungen – meint, meinen Kollegen und mich hätte die Vorsehung in Eure Zeit geschickt. Wir müssten hier ein Verbrechen aufklären.« Sie zuckte müde mit den Schultern.
»Ihr meint: Ein Verbrechen sühnen?« Greta runzelte verblüfft die Stirn.
»Wenn Ihr es so nennen wollt: ja.«
»Oh …« Greta nickte langsam.
Erstaunt registrierte Jo wieder einmal, dass die mittelalterlichen Menschen die absurdesten Erklärungen akzeptierten, sobald sie etwas mit Gott oder Wundern zu tun hatten. Rasch erzählte sie Greta von dem Mord an Anselm. »Aber was hat es nun mit diesem Jörg auf sich?«, fragte sie, als sie ihren Bericht beendet hatte.
Greta strich sich eine dicke Strähne ihres roten Haars aus dem Gesicht. »Lutz ist wegen mir und der anderen Frauen mit ihm aneinandergeraten. Also, den Frauen, die hier in diesem Haus mit mir arbeiten … Vorgeblich ist Jörg Schreiber einfach ein reicher Händler. Aber einen nicht unbeträchtlichen Teil seines Geldes bezieht er aus den Bordellen hier in der Stadt und im Umland sowie aus anderen unlauteren Geschäften.«
»Betreibt er auch das Männerbordell weiter oben in der Straße?«, fragte Jo rasch.
»Ich weiß es nicht genau. Aber gut möglich ist es.« Greta nickte. »Jedenfalls erschienen im Sommer zwei von Jörgs Männern bei uns. Sie verlangten von uns, dass wir ihren Herrn an unseren Einnahmen beteiligen sollten. Andernfalls würde es uns schlecht ergehen. Wir lehnten ab. Kurz darauf wurde eine von uns – Kristin, ein junges Mädchen – entführt und eine ganze Nacht lang von Jörgs Kerlen vergewaltigt. Am Morgen fanden wir sie mehr tot als lebendig vor unserer Tür liegen.« Gretas Gesicht verzerrte sich vor Mitleid und Zorn. Jo empfand mit ihr. Die Prostituierte atmete tief durch, um ihre Fassung wiederzugewinnen. »Jörg ließ uns ausrichten, dass es uns allen – einer nach der anderen – genauso ergehen würde, wenn wir nicht auf seine Forderung eingingen.«
»Konntet Ihr ihn nicht vor ein Gericht bringen?«
Greta winkte ab. »Er ist ein mächtiger und angesehener Mann, der zum Rat der Stadt gehört. Er besitzt sogar die Erlaubnis, mit Reliquien zu handeln.«
»Wie bitte?« Bordellbesitzer, die mit Reliquien handeln, schoss es Jo durch den Kopf, das gibt es im 21. Jahrhundert wahrscheinlich noch nicht einmal bei der Mafia.
»Oh, Ihr habt schon richtig gehört.« Die Prostituierte hob müde die Schultern. »Ich habe mich Lutz anvertraut. Er geriet außer sich und beschloss, Jörg und seinen Handlangern eine Lektion zu erteilen.« Ihr Antlitz wurde einen Moment lang ganz weich. »Lutz und seine Freunde fanden heraus, welche Männer an Kristins Entführung und Vergewaltigung beteiligt waren. Nun ja … Lutz und seine Gefährten entführten die Männer ihrerseits. Sie verprügelten sie, schoren ihnen die Haare, teerten und federten sie und banden sie nachts an die Schandsäulen auf dem Marktplatz.«
Jo seufzte. Es sah Lutz Jäger – beziehungsweise seinem Mittelalter-Ich – ähnlich, das Gesetz einfach
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