Dreikönigsmord (German Edition)
einfach zu ihr. Wenigstens war sie immer ehrlich zu ihm, und er wusste inzwischen, dass er sich auf sie verlassen konnte.
»Mein Gott, bei der Gertrudiskirche herrscht ein riesiger Aufruhr. Ich konnte mir kaum einen Weg durch die Menge bahnen.« Herbert schreckte ihn aus seinen Gedanken. Der Freund wies mit dem Kinn auf den Weinschlauch, den er über der Schulter trug. »Soll ich den in die Speisekammer bringen?«
»Ja, bitte«, antwortete Lutz, der immer noch etwas geistesabwesend war. Eigentlich war Jo viel zu schade für diesen Streber Friedhelm Seidel … »Was war denn bei der Kirche los?«, rief er dann Herbert nach.
Sein Freund steckte den Kopf aus der Speisekammertür. »Sie haben dort eine Leiche gefunden.«
»Eine Leiche?«
»Ja, einen jungen Mann. Angeblich wurde er ermordet.«
Lutz legte das Messer auf den Tisch und wischte seine Hände an seinem Kittel ab. Seine Jagdinstinkte waren erwacht. »Kannst du mich noch einmal für eine Weile vertreten?«, fragte er. Als er zu den Wandhaken hinkte, wo sein Mantel hing, fühlte er seine Schmerzen plötzlich kaum noch.
4. KAPITEL
o hatte den Tuchstand der Weberei besuchen wollen und war auf dem Weg zum Markt gewesen, als sie das Gerücht hörte, bei der Gertrudiskirche sei die Leiche eines ermordeten jungen Mannes gefunden worden. Sofort änderte sie ihre Pläne. Als sie bei der Kirche ankam, stand eine große Menschenmenge auf dem Platz vor dem rechten Seitenschiff. Das Gerücht war also nur zu wahr gewesen. Rücksichtslos gebrauchte sie ihre Ellbogen und drängte sich zwischen den Leuten hindurch, die aufgeregt Informationen und Mutmaßungen austauschten.
»Die Kehle aufgeschlitzt …«
»Nein, ein Stich ins Herz …«
»Alles war voller Blut …«
Die Worte umschwirrten sie, während sie sich inbrünstig wünschte, ihre Polizeimarke zücken und die Leute verscheuchen zu können.
Endlich hatte Jo den Rand der Menge erreicht. Was für ein Albtraum für die Spurensicherung , dachte sie automatisch, als sie den völlig zertrampelten Schnee sah. Ein großer, gutaussehender Priester beugte sich über den Leichnam. Pater Kolonat! , durchfuhr es Jo, die am Vortag seine Messe besucht hatte, um sich wie Lutz einen Eindruck von ihm zu verschaffen. Natürlich, er war ja auch Pfarrer an der Gertrudiskirche.
Pater Kolonat sagte etwas zu den beiden Männern, die neben ihm standen. Daraufhin hoben diese den Leichnam hoch und legten ihn auf eine grob gezimmerte Bahre. Nun erst konnte Jo den Toten richtig sehen. Eine riesengroße Faust schien sich in ihren Magen zu bohren, und ihr wurde übel. Die Kehle des Ermordeten war durchtrennt. Getrocknetes Blut überzog seine untere Gesichtshälfte und seinen Kittel bis zur Brust wie eine Kruste. Dennoch konnte Jo erkennen, dass der Tote Frowin war.
Nun packten die Männer die Bahre und trugen sie durch ein kleines Tor auf der Westseite des Platzes. Sie musste herausfinden, wohin sie Frowins Leichnam brachten. Jos Instinkte als Polizistin ließen sie handeln und den Knechten hinterherschleichen. Auf der anderen Seite des Tors erstreckte sich ein weiterer kleiner Platz. Rasch verbarg sie sich hinter einigen kahlen Büschen, die dort vor der Mauer wuchsen. Die Männer überquerten den Hof und verschwanden mit dem Leichnam in einem niedrigen, strohgedeckten Fachwerkbau. Offensichtlich ein Schuppen. Gleich darauf kamen sie wieder nach draußen.
»Dürfte schwierig werden, den armen Kerl zu begraben. Hartgefroren, wie der Boden ist«, hörte Jo einen von ihnen sagen.
»Ach, bei dem reicht es doch, wenn er ein paar Fuß unter dem Boden verscharrt ist«, gab der andere zurück. »Seiner fadenscheinigen Kleidung nach zu schließen, war er ganz sicher kein ehrbarer Bürger. Wenn er überhaupt aus der Stadt stammte.«
Wieder kam es Jo vor, als ob sich eine große Faust in ihren Magen bohrte. Erschöpft ließ sie sich gegen die Mauer sinken. Zweimal hatte sie es bisher erlebt, dass ein Zeuge, den sie im Zuge einer polizeilichen Untersuchung verhört hatte, später ermordet worden war. Beide Male hatte sie dies mitgenommen. Aber sie hatte sich nicht schuldig gefühlt, so wie jetzt. Hatte Frowin etwa sterben müssen, weil sie sich mit ihm unterhalten hatte? Hatte Anselms Mörder auch ihn getötet, weil er fürchtete, der Junge könnte ihn verraten?
Erst nach einer geraumen Weile fühlte sich Jo imstande, ihr Versteck hinter den Büschen zu verlassen. Auf dem Platz vor dem Tor hatte sich die Menge inzwischen gelichtet. Da und dort
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