Dreikönigsmord (German Edition)
auf keinen Fall außer Acht zu lassen.
Später in der Nacht wälzte sich Jo in ihrem Bett von einer Seite zur anderen. Obwohl sie todmüde war, konnte sie nicht einschlafen. Wirre Bilder und Gedanken zogen durch ihren Kopf: Katrein, die ihr, mit einer Nachthaube auf dem Kopf und einer blakenden Kerze in der Hand, auf der Treppe entgegengeeilt war und sie mit einem vorwurfsvollen Wortschwall überschüttet hatte. Seit sie ein Teenager gewesen war, hatte niemand mehr nachts auf sie gewartet und sie ausgeschimpft, weil sie sich verspätet hatte.
Friedhelms Stimme: »Jo, ich kann so nicht mit dir leben«, dröhnte in ihren Ohren, während sich die Plane des umgestürzten Lkws vor ihr aufblähte und sie zu verschlingen drohte. In seiner Werkstatt lächelte Meister Mattis sie an und sagte: »Josepha, ich habe gehört, dass Ihr krank wart, und ich bin sehr froh, dass es Euch nun wieder besser geht.«
Ein nächstes Bild: Jo sah sich mit Lutz vor der Feuerstelle in seiner Kneipe sitzen. »Zwischen mir und ihm läuft nichts. Und da wird auch nie etwas laufen. Ich bin nicht im Geringsten an ihm interessiert«, murmelte sie. Warum dachte sie eigentlich überhaupt in diesem Zusammenhang an ihn?
Noch einmal wälzte Jo sich herum. Dann sank sie endlich in den Schlaf.
Leise vor sich hinfluchend, humpelte Lutz durch die Grüne Traube . Seine übliche gute Laune hatte ihn im Stich gelassen. In seinem Leben als Polizeibeamter des 21. Jahrhunderts hatte er einige Blessuren erlitten. Einmal hatte er nur knapp einem Messerstecher ausweichen können, und die Waffe hatte ihm die Haut am Unterarm aufgeschlitzt. Auch Prügel hatte er schon eingesteckt. Aber noch niemals war er so schlimm zusammengeschlagen worden wie vor zwei Tagen. Noch immer fühlte er sich, als hätte ihn eine Dampfwalze überrollt. Und nicht genug damit, dass ihm jede Bewegung höllische Schmerzen bereitete – er musste auch noch seine Kneipe am Laufen halten.
Wenigstens hatte sein Freund Herbert während der letzten beiden Tage – als er, Lutz, im Bett gelegen hatte – die Gäste bewirtet und auch die Vorräte aufgestockt. An den Deckenhaken in der Speisekammer baumelten zwei große frische Schinken. In der Ecke stand ein neues Bierfass, und auf den Regalbrettern lagerten ein Käselaib sowie Kohlköpfe, Lauch, Rüben, Zwiebeln und Brot. Für den Abend musste er einen großen Kessel Eintopf zubereiten. Lutz beschloss, etwas aus Kohl und Speck zu kochen.
Er lehnte sich gegen die weiß gekalkte Wand und stellte fest, dass ihn noch nicht einmal die Aussicht, etwas zu kochen, aufheitern konnte. Ach verdammt … Anfangs hatte er es ja ganz spannend gefunden, ins Mittelalter geraten zu sein. Und anders als Jo hatte er sich auch nicht lange mit der Frage aufgehalten, warum sie wohl hierher gelangt waren. Es war einfach so, und sie mussten das Beste daraus machen. Aber allmählich hatte er das Gefühl, dass ihm die ganze Sache über den Kopf wuchs.
Mein Mittelalter-Ich ist also laut Jo in einen Privatkrieg mit dem Unterweltkönig der Stadt verstrickt, dachte Lutz . Wobei er es verstand und guthieß, wie sein Alter Ego gehandelt hatte. Trotzdem fand er es seltsam, in eine Fehde mit einem Mann verwickelt zu sein, den er noch nicht einmal vom Sehen kannte und der zudem auch noch mit Reliquien handelte. Was ja nun völlig obskur war.
Und was Greta betraf … Unter anderen Umständen hätte er durchaus etwas für eine Affäre mit der schönen Rothaarigen übriggehabt. Aber so kam ihm dies beinahe inzestuös vor. Ganz zu schweigen davon, dass er nicht die geringste Lust hatte, bei irgendwelchen Streitigkeiten die Fehler und Versäumnisse des anderen Lutz’ angekreidet zu bekommen. Wie dies bestimmt früher oder später der Fall sein würde. Lutz seufzte melancholisch. Dafür kannte er sich zu gut mit Frauen aus.
Nachdem er zwei große Kohlköpfe und einige Zwiebeln in einen Korb gepackt hatte, trug er das Gemüse in die enge Küche hinter dem Gastraum, wo er sich auf einen Schemel sinken ließ. Immerhin habe ich Glück, überlegte er, während er begann, den Kohl in Stücke zu schneiden, dass ich auch im Mittelalter gute Kumpels gefunden habe. Wie zum Beispiel Herbert …
Und mit Jo war in dieser Zeit ganz entschieden besser auszukommen als in der Gegenwart. Völlig würde sie ihr gouvernantenhaftes Gehabe ihm gegenüber vermutlich nie ablegen. Aber inzwischen amüsierte er sich darüber mehr, als dass es ihn ärgerte. Dieses spröde, pflichtbewusste Wesen gehörte wohl
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