Dreikönigsmord (German Edition)
Kolonat achtet immer tunlichst darauf, dass ich aus dem Haus bin, wenn er sich mit seiner Geliebten trifft. Aber wie ich schon sagte, ich habe Augen im Kopf.« Sie kicherte selbstzufrieden.
»Und seit Anfang Dezember haben diese Besuche aufgehört?«
Anfang des Monats war Anselm umgebracht worden.
»Ja, seitdem ist Pater Kolonat nicht mehr hierhergekommen. Vielleicht trifft er sich ja jetzt mit seiner Geliebten in seinem Stadthaus. Oder er hat sich darauf besonnen, dass er ein Priester ist.«
Lutz atmete innerlich auf. Homosexualität schien außerhalb von Berthas Horizont zu liegen. Er jedenfalls war davon überzeugt, dass es sich bei dieser »Geliebten« um Anselm gehandelt hatte.
Am Abend verließ Lutz gut gelaunt die Gertrudiskirche. Auf dem Rückweg von Pater Kolonats Liebesnest hatte er überlegt, ob er zu Jo gehen und ihr mitteilen sollte, was er herausgefunden hatte. Womit sie nun endlich auf eine heiße Spur gestoßen waren. Aber dann war ihm eingefallen, dass er für den späten Nachmittag eine größere Weinlieferung für seine Kneipe erwartete. Deshalb hatte er beschlossen, sein Gespräch mit Jo bis zum nächsten Tag aufzuschieben.
Immerhin konnte er ihr bei dieser Gelegenheit auch schon einmal seinen ersten Eindruck von Pater Kolonat schildern. Denn der Priester hatte die Messe gehalten, die Lutz eben besucht hatte. Er war ein großer, schlanker und durchaus attraktiver Mann in den Dreißigern, den mit seiner hohen Stirn und dem schmalen Gesicht die Aura eines Intellektuellen umwehte. Ein Eindruck, den seine nachdenkliche und zugleich sehr beredte Sprechweise noch verstärkte. Pater Kolonat hatte über die Sünde der Heuchelei und Verstellung gepredigt.
Der Priester ist genau der Typ Mensch, der immer und überall Karriere macht , dachte Lutz. Sei es als Manager im 21. Jahrhundert oder in der Kirche des Mittelalters. Und diese Menschen schätzen es meist ganz und gar nicht, wenn jemand ihrer Karriere hinderlich ist.
Lutz bahnte sich seinen Weg durch die Grüppchen von Gottesdienstbesuchern, die überall auf dem Platz vor der Kirche standen und miteinander schwatzten – da sich der Dom im Bau befand, war die Gertrudiskirche die bedeutendste Kirche der Stadt. Dann bog er in eine der Gassen, die in Richtung Flussufer führten. Die Häuser hier waren kleiner als auf der breiten Hauptstraße und die hölzernen Läden fast überall wegen der Kälte und der Dunkelheit geschlossen. Es musste Jahrzehnte her sein, seit er zum letzten Mal einen Gottesdienst besucht hatte. Als Kind war er eine Zeitlang Ministrant gewesen. Hauptsächlich wegen der Gemeinschaft mit den anderen Kindern und nicht aus einer besonderen Frömmigkeit heraus. Aber er hatte sich immer stolz gefühlt, wenn er das Glöckchen während der Wandlung läuten durfte.
Diese Messe war jedoch völlig anders als die Gottesdienste seiner Kindheit gewesen. Der Priester hatte sie auf Latein mit dem Rücken zum Volk zelebriert, und als Ministranten hatten keine Kinder, sondern Männer fungiert. Das einzig Vertraute war ein großer Adventskranz gewesen, der von der Decke des Altarraums gehangen hatte. Zwei Kerzen hatten auf ihm gebrannt.
Allmählich wird es Zeit, mit dem Plätzchenbacken anzufangen, dachte Lutz und gähnte. Ich muss unbedingt das Rezept ausprobieren, das mir diese Klosterköchin gegeben hat …
Aus den Augenwinkeln nahm er eine Bewegung wahr. Vier schattenhafte Gestalten traten aus einem Toreingang und bauten sich vor ihm auf.
»He, was soll das? Lasst mich durch …«, begann er. Da traf ihn schon der erste Fausthieb am Kopf. Seine rechte Gesichtshälfte war plötzlich ganz taub. Gleichzeitig fühlte er erstaunt, dass ihm etwas Feuchtes über die Wange rann. Es gelang Lutz, einem weiteren Hieb auszuweichen und einem der Gegner einen Kinnhaken zu versetzen, der diesen zu Boden sandte. Doch ein Tritt in seinen Magen ließ ihn selbst zusammensacken. Er würgte, rang nach Atem.
Er musste die Arme hochnehmen und seinen Kopf schützen … Ein weiterer Tritt in seine Seite streckte ihn endgültig in den Schnee. Nun prügelten seine Angreifer mit Stöcken auf ihn ein. Ein Schlag in seine Nieren ließ Lutz vor Schmerz aufstöhnen.
»He, da kommt jemand!«, hörte er plötzlich wie aus weiter Ferne jemanden rufen. Verschwommen nahm er wahr, wie sich eine der vermummten Gestalten zu ihm herabbeugte. »Lass dir das eine Warnung sein, Lutz Jäger«, erklang eine Männerstimme wie aus sehr großer Distanz, »mein Herr mag es nicht, wenn
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