Dreikönigsmord (German Edition)
wandte er sich zum Gehen. Seine Buddys folgten ihm wie treue Hunde auf den Fersen. Jo hatte das Gefühl, dass ihr ein dicker Felsbrocken von der Brust plumpste. »Wir sehen uns in einer halben Stunde auf der Wiese vor dem südlichen Stadttor«, raunte sie ihrem Kollegen zu, ehe sie ihre Röcke raffte und weiterlief, als hätte sie nicht das Geringste mit ihm zu schaffen.
Jo wartete im Schutz einer Baumgruppe am Flussufer. Sie war noch nicht lange dort, als Lutz über die verschneite Wiese auf sie zukam. »Schade, dass du Deeskalation betrieben hast«, sagte er. »Denn eigentlich hätte ich diesem Schreiber ja wirklich gerne eins aufs Maul gegeben.«
»Ich hätte ja nicht gedacht, dass ich irgendwann einmal – um eine Prügelei zu verhindern – behaupten würde, jemand hätte einen Mantel bei mir bestellt und noch nicht abgeholt«, brummte Jo. Sie musterte das verschrammte Gesicht ihres Kollegen mit einem schrägen Blick. »Ich werde nicht anfangen, von widerrechtlicher Gewaltausübung im Dienst zu reden … Aber ich glaube nicht, dass dir eine Prügelei mit Schreiber und seinen Buddys gutgetan hätte.«
»Wahrscheinlich nicht.« Lutz wirkte gänzlich unbeeindruckt.
»Könnten wir bitte auf unseren Fall zurückkommen?« Jo musste wieder an Frowins blutverkrustetes Gesicht denken, und ihre Stimme klang ein wenig hoch. »Lass uns einmal zusammenfassen: Anselm und Frowin waren Lustknaben in einem Bordell, das wahrscheinlich Schreiber gehört. Kolonat war Anselms Freier. Frowin wird ermordet neben der Gertrudiskirche gefunden, in der Pater Kolonat recht oft die Messe hält. In dieser Kirche befindet sich die Reliquie der heiligen Gertrudis, wegen der es einen Streit zwischen Ebersheim und Worms gab, der erst nach Verhandlungen beigelegt wurde. Jörg Schreiber ist Ratsherr und handelt mit Reliquien.«
»Wir wissen aber nicht, ob Schreiber in diese Verhandlungen involviert war«, warf Lutz ein. Er hatte Schnee von einem umgestürzten Baumstamm gewischt und sich auf das Holz gesetzt. Jo hockte sich neben ihn. »Nein, aber das lässt sich ja herausfinden. Ich werde mit Äbtissin Agneta reden. Wahrscheinlich weiß sie darüber Bescheid oder kann mir jemanden nennen, der es tut. Und wir müssen unbedingt herausfinden, ob das Männerbordell nun tatsächlich Schreiber gehört oder nicht.«
»Das übernehme ich.« Lutz nickte. Dann blickte er Jo an. »Ich sehe doch, dass etwas in deinem Kopf vorgeht. Worüber denkst du nach?«
»Du bist doch katholisch. Wie werden eigentlich Reliquien aufbewahrt?« Jetzt musste sie sich – eine agnostische Protestantin – auch noch mit so abergläubischem papistischem Unsinn wie Reliquien befassen.
Lutz fuhr sich über sein stoppeliges Kinn.
»Na ja … Manchmal in kleinen Gefäßen, die sehr kostbar verziert sind. Manchmal auch in Heiligenstatuen. Weshalb fragst du?«
»Weil es mich interessieren würde, ob nicht vielleicht an dieser Reliquie in der Gertrudiskirche herummanipuliert wurde.«
»Dann sollten wir das überprüfen. Heute Nacht? Frowins Leichnam und den Reliquienschrein?«
»Ja, auch wenn ich es schön fände, meiner Arbeit wieder einmal zu einigermaßen zivilisierten Zeiten nachgehen zu können.«
»Du musst dich immerhin nicht um eine Vertretung für eine Kneipe kümmern. Jedenfalls werde ich mich, falls wir wieder in die Gegenwart zurückkehren sollten, nie mehr über Überstunden beschweren.« Lutz stand etwas zu schnell auf und fluchte, als ihm der Schmerz durch seinen zerschundenen Körper schoss.
Jo blickte ihm nach, wie er in Richtung des Stadttors humpelte. Als sie ihm schließlich in einigem Abstand folgte, bemerkte sie flüchtig einen blonden Jungen, der am Fluss kauerte und Steine über das Eis am Ufer hüpfen ließ.
»Josepha!« Dicht hinter dem Stadttor hörte Jo jemanden ihren Taufnamen rufen. Wie immer benötigte sie einige Augenblicke, bis sie begriff, dass sie damit gemeint war. Als sie sich umdrehte, eilte Meister Mattis, der Steinmetz, auf sie zu.
»Josepha, wie schön, dass ich Euch treffe. Ich wollte Euch ohnehin die Tage aufsuchen.« Er lächelte sie strahlend an.
»Oh, wirklich …« Hatte Lutz recht und der Steinmetz stand auf sie? Und falls ja … wie ging man am besten mit einem Mann um, der auf einen stand, den man jedoch überhaupt nicht kannte?
»Ich wollte Euch fragen, ob Ihr mir die Gunst erweisen und mir Modell sitzen würdet.«
»Modell sitzen …?«
Sein Lächeln verschwand, und seine Miene spiegelte Unsicherheit. »Ich weiß,
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