Dreikönigsmord (German Edition)
standen Leute in kleinen Grüppchen beisammen. Zwischen ihnen entdeckte sie Lutz Jäger. Er starrte auf die Blutflecken in dem zertretenen, schmutzigen Schnee, als könnten sie ihm einen wichtigen Hinweis geben. Sein immer noch von Schrammen und Blutergüssen verunstaltetes Gesicht wirkte angespannt, ja verbissen vor Konzentration. Plötzlich begriff Jo, warum ihre Chefin Brunhild Birnbaum ihn so sehr schätzte.
Sie hatte ihren Kollegen fast erreicht, als ein massiger Mann auf ihn zutrat, der einen schwarzen, mit einem zu breiten Pelzstreifen besetzten Mantel trug. Sein Haar und sein Bart waren voll und dunkel. Sein fleischiges Gesicht war nicht unattraktiv, wenn auch um den Mund ein rücksichtsloser Zug lag.
Das Gesicht eines erfolgreichen Politikers, der geschickt die Strippen zu ziehen weiß und mit ziemlich großer Sicherheit in Korruptions- und Bestechungsaffären verstrickt ist , ging es Jo durch den Kopf. Hinter dem Mann tauchten nun zwei breitschultrige Typen auf. Offensichtlich Schläger und seine Buddys. Jo blieb hinter einem Grüppchen tratschender Frauen stehen und spähte zu ihrem Kollegen, bereit, ihm zu Hilfe zu kommen, sobald dies nötig werden sollte.
Der massige Mann legte Lutz seine breite, behaarte Hand auf die Schulter, und sein Mund verzog sich zu einem gönnerhaften Lächeln.
»Na, Lutz, Ihr seht ziemlich mitgenommen aus. Hattet Ihr etwa einen Unfall? Falls ja, dann solltet Ihr wirklich besser auf Euch achtgeben.«
Lutz schüttelte die Hand ab. »Ich nehme an, ich habe es mit Jörg Schreiber zu tun?«, fragte er ruhig.
»Oh, Ihr beliebt zu scherzen. Ja, tatsächlich, ich bin es.« Jörg Schreiber stieß ein kurzes, dröhnendes Lachen aus, in das seine Kumpane sofort einstimmten. »Wie schön, dass Ihr Euren Humor nicht verloren habt.«
»Ach, dazu bräuchte es schon mehr als ein paar von Euren Schlägern«, gab Lutz lässig zurück.
Jörg Schreibers Augen verengten sich. »Ihr solltet Eure Zunge im Zaum halten. Sonst werde ich dafür sorgen, dass Ihr wegen übler Nachrede an den Schandpfahl gebunden werdet.«
»Ich habe noch gar nicht richtig angefangen. Anstiftung zur Körperverletzung ist ja noch das Geringste, das ich Euch zur Last lege. Dazu kommt außerdem Anstiftung zu einer Vergewaltigung. Und ich frage mich außerdem, ob Ihr nicht auch in einen Mord verwickelt seid. Ich glaube nämlich nicht, dass Ihr hier – wo die Leiche eines Lustknaben gefunden wurde, eines Lustknaben, der, wie ich vermute, in einem Eurer Bordelle gearbeitet hat – rein zufällig vorbeigekommen seid.«
Jörg Schreiber starrte Lutz einige Momente lang an, während sich sein Gesicht tiefrot färbte und sich seine Augen verengten. Dann winkte er seinen beiden Buddys . »Bestraft den Kerl für diese ungeheuerliche Anschuldigung!«, befahl er kalt.
Doch ehe die zwei sich auf Lutz stürzen konnten, erschienen an dessen Seite vier Männer. Darunter ein mittelgroßer, sehniger Kerl mit einer völlig schiefen Nase – Herbert. Sie erhoben ihre Fäuste, bereit, ihren Kumpel zu verteidigen. Jo war so auf Lutz konzentriert gewesen, dass sie seine Freunde gar nicht bemerkt hatte.
»Lasst bloß Eure dreckigen Pfoten von Lutz!«, fauchte Herbert.
Die Buddys zögerten.
Jo nutzte den Moment. Sie sprintete vorwärts und stellte sich zwischen Jörg Schreiber und ihren Kollegen. »Jörg, wie schön, Euch zu begegnen«, presste sie atemlos hervor. »Der Mantel, den Ihr bestellt habt, ist fertig.«
»Welcher Mantel?« Er musterte sie verdutzt.
»Oh, war es etwa gar nicht Euer Gewand, das mir mein Geselle vorhin gezeigt hat? Ich hätte schwören können, dass er Euren Namen nannte. Ein sehr schöner Mantel übrigens, aus dunkelbraunem Samt gefertigt und mit roter Seide gefüttert …«
»Ich habe keinen Mantel bei Euch in Auftrag gegeben.«
»Ach, verzeiht. Dann müsst Ihr demnächst einmal einfach so bei mir vorbeikommen. Auf einen Würzwein. Mit Eurer Gattin …« Was rede ich da eigentlich?, fragte sich Jo plötzlich erschrocken. Was, wenn dieser Kerl Junggeselle oder verwitwet ist? Und was, wenn er und die Webers sich nicht ausstehen können?
Einige Augenblicke lang herrschte Schweigen. Jo registrierte, dass ringsum das Gerede der Leute verstummt war. Schließlich breitete sich ein Lächeln um Jörg Schreibers Mund aus. »Aber gern, Josepha. Meiner Gattin Waltraud und mir wird es eine Freude sein, Euch wieder einmal unsere Aufwartung zu machen.«
Ohne Lutz und dessen Freunde noch eines Blickes zu würdigen,
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