Dreikönigsmord (German Edition)
nur, dass ich in einer Zeit herumstolpere, in die ich nicht gehöre – nun bringe ich auch noch das Leben einiger Menschen gehörig durcheinander. Hoffentlich habe ich meiner Ahnin nicht soeben eine mögliche vielversprechende Beziehung ruiniert.
Später an diesem Tag, gegen zehn Uhr am Abend, schloss Wolfram die Tür seines Kontors ab. Eben hatte er seinen Rundgang durch das Männerbordell absolviert. So weit war alles in Ordnung. Sämtliche Zimmer waren belegt. Die Geräuschkulisse war die übliche. Stöhnen, Seufzen, verlegenes Kichern und da und dort Peitschenhiebe und Schreie. Aber auch die Schreie hatten eine normale Intensität und Lautstärke. Kein völlig wahnsinniger Freier war da zugange. Also konnte er guten Gewissens das Haus verlassen und sich in seinem Stammwirtshaus ein schnelles Bier genehmigen.
Draußen auf der Gasse fröstelte er. Verdammt kalt war die Nacht, und der Nebel, der vom Fluss aufgestiegen war und in dicken Schwaden zwischen den Häusern hing, machte das Wetter auch nicht angenehmer. Immerhin war es ihm schon gelungen, einen Ersatz für Frowin zu finden. Auch für Anselm hatte sich – nachdem dieser plötzlich nicht mehr aufgetaucht war – schnell ein anderer junger Mann gefunden. Es gab genug Arme und Heimatlose, die sich gern auf diese verworfene Weise ihr Geld verdienten. Er – Wolfram – hatte es ja eindeutig mit den Frauen.
Wobei es ihm schon leidtat, dass Frowin nun nicht mehr als Lustknabe zur Verfügung stand. Mit seiner schüchternen, verdrucksten Art und den lang bewimperten Augen in seinem weiblichen Gesicht war er das ideale Opfer gewesen. Dafür, sich an ihm austoben zu dürfen, hatten die Freier mit den besonders kranken Neigungen gerne tief in die Tasche gegriffen. Anselm hatte zwar auch gutes Geld ins Haus gebracht, aber er war zu aufsässig gewesen und hatte einen zu großen Anteil am Kuchen verlangt. Früher oder später wäre er zu einem Problem geworden.
Mein Gott, was für eine Suppe! Die Laternen an den Hauswänden waren ja kaum noch zu erkennen. Wobei … Wolfram stutzte. Warum sah er in einiger Entfernung eine Laterne gelblich durch den Nebel schimmern, und am Haus neben ihm brannte kein Licht?
Nun verschwand auch der gelbe Schein. Etwas legte sich schwer über sein Gesicht. Wolfram benötigte einige Momente, bis er begriff, dass dies kein stinkender Nebelschwaden war, sondern ein festes Tuch. Ein Tritt gegen seine Kniekehlen ließ ihn in den Schnee sacken. Ehe er auch nur einen Finger zur Gegenwehr rühren konnte, waren ihm die Arme schon auf den Rücken gedreht und gefesselt worden. Er rang nach Atem. Dann verlor er die Besinnung.
»Mit links, nimm den Ball mit links! Jetzt abgeben … schießen … Jaaa!« Lutz Jägers Stimme schallte durch die Gasse. Jo zog sich die Kapuze ihres Mantels tiefer ins Gesicht und blieb im Toreingang eines Fachwerkhauses stehen. Vor der Grünen Traube rannten Lutz, einige Jungen und sogar ein paar Erwachsene – offenbar Kumpels ihres Kollegen – auf dem schneebedeckten Boden herum und versuchten, einen Kohlkopf in ein wackliges, aus zusammengebundenen Holzstangen errichtetes Tor zu bugsieren. Die Gesichter aller waren von der Kälte und von der Anstrengung gerötet. Männer …
Haarscharf schoss der reichlich malträtierte Kohlkopf am Fuß eines Jungen vorbei und rumpelte über den unebenen Boden auf Jo zu. Sie nahm ihn an und kickte ihn zu den Spielern zurück. Dabei gab sie Lutz einen verstohlenen Wink. Er nickte ihr zu, hatte verstanden. Jo hastete in einen nahen Durchgang zwischen zwei Häusern, der in die Gasse hinter der Kneipe mündete. Sie drückte das Tor in dem Weidenzaun auf und schlüpfte in den Hof, wo Beete unter dem Schnee lagen und Holzscheite ordentlich unter dem Schutz des Strohdachs an der Hauswand gestapelt waren.
Als Jo den Kneipenraum betrat, war Lutz schon dort. Er hatte zwei Stühle vor die Feuerstelle gerückt und eine Tonschale mit Gebäck auf einen Schemel gestellt. Über den Flammen hing wie immer ein großer Bronzetopf. Daraus roch es nach Rüben, eingeweichtem Brot und Thymian.
»Herbert, Herbert – pass auf! O nein …« Das an- und abschwellende Geschrei der Spieler drang durch die Fensterluken.
Jo setzte sich und nahm sich eines der Plätzchen. »Bald hast du ja wirklich eine Elf beisammen. Gar nicht schlecht, die Jungs. Wenn man bedenkt, dass ihr mit einem Kohlkopf kickt.«
»Ach, es ist wirklich ein Jammer.« Lutz’ Gesicht bekam einen verträumten Ausdruck. »Einer der Jungen,
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