Dreikönigsmord (German Edition)
schlagen. Ich hätte wirklich nicht gedacht, dass es den Weihnachtsstress auch schon im Mittelalter gab … Katrein und die Mägde stellen das ganze Haus auf den Kopf und wienern jeden Winkel. Unmengen von Würsten werden gemacht, und die Köchin backt Berge von Brot und allen möglichen Süßigkeiten. An die toten Gänse und Hühner, die in der Speisekammer an Haken von der Decke baumeln, darf ich gar nicht denken …« Jo schüttelte sich. »Und jeden Tag kommen Scharen von Leuten in den Laden der Weberei und kaufen ein.«
»Sei doch froh, dass du ein gutes Weihnachtsgeschäft hast.« Lutz lachte. »Ich werde auch noch speziell gewürzte Würste machen – Wurst machen wollte ich ohnehin schon immer einmal. Und Stollen backen und Pfefferkuchen und Gänsepasteten. Und für den vierundzwanzigsten Dezember werde ich auf jeden Fall einen Weihnachtsbaum besorgen.«
»Damit bist du ein paar Jahrhunderte zu früh dran. Weihnachtsbäume gibt es erst seit achtzehnhundertirgendwas …«
»Ist mir egal. Kein Weihnachten ohne einen Tannenbaum voll brennender Kerzen.«
»Ich muss los.« Jo stand auf. »Das Kassenbuch muss ich auch noch auf den neuesten Stand bringen. Wenigstens gibt es kein Finanzamt, das meine Buchhaltung überprüfen könnte. In welcher Kirche sollen wir damit anfangen, die Reliquienschreine zu überprüfen? Und wann?«
Sie beratschlagten kurz und verabredeten dann, sich am nächsten Morgen den Schrein in der Stephanskirche – das Gotteshaus war nicht weit von St. Gertrudis entfernt – vorzunehmen. An der Hintertür blieb Jo noch einmal stehen. »Jörg Schreiber wird wahrscheinlich davon ausgehen, dass du und deine Freunde hinter dem Anschlag auf seinen Geschäftsführer steckt. Pass auf dich auf.«
»Ach, ich glaube eigentlich nicht, dass der feige Muskelprotz Schreiber berichten wird, dass wir ihn gekidnappt haben.« Lutz winkte ab. »Immerhin ist die ganze Sache ja ziemlich peinlich für ihn. Also ich würde keinen Bordellwächter einstellen, der noch nicht einmal sich selbst verteidigen kann.«
»Trotzdem«, beharrte Jo, »gib auf dich acht!« Als sie in den Hinterhof trat, fragte sie sich einen Moment lang, ob sie sich einfach nur um einen Kollegen sorgte oder ob bei der plötzlichen Angst um Lutz mehr mitschwang. Nein , sagte sie sich dann energisch, es ist wirklich nur die Sorge um einen Kollegen. Sie und Jäger, den sie vor ein paar Wochen noch kein bisschen hatte ausstehen können … Schon allein die Vorstellung war ja absurd.
Sehnsüchtig schaute der magere Junge, den alle nur Junge oder Bursche oder »du da« riefen – er konnte sich nicht daran erinnern, jemals einen Namen besessen zu haben –, den Spielern zu. Mehr als alles in der Welt wünschte er sich, Teil der Gruppe zu sein. Mit den Jungen und Männern dem Kohlkopf hinterherzurennen, angerempelt zu werden, beschimpft und gelobt zu werden, den Kohlkopf über die verschneite Gasse zu treten und, ja, das Paradies konnte auch nicht schöner sein, ihn durch die Holzstangen zu schießen.
Sollte er es vielleicht doch einmal wagen, sich der Gruppe anzuschließen? Sie schienen alle ganz nett zu sein, vor allem Lutz, der Wirt, der vor einer Weile in der Grünen Traube verschwunden war. Kurz nachdem auch Josepha Weber das Haus durch den Hintereingang betreten hatte.
Schrecken und Schuldbewusstsein durchzuckten den Jungen und ließen ihn aufstöhnen, während er schon zu dem engen Durchgang zwischen den Häusern hetzte. Er hätte den Hintereingang bewachen müssen. Stattdessen war er wieder zur Gasse gerannt. Nur für einige Augenblicke hatte er das Spiel beobachten wollen. Aber daraus war eine ganze Weile geworden. Nicht auszudenken, wenn Josepha Weber inzwischen das Wirtshaus verlassen hatte.
Der Junge schluckte schwer, als er das aus Weidenzweigen geflochtene Tor erreichte. Frische Fußspuren zeichneten sich im Schnee ab. Sie führten aus dem Hof auf die Gasse. Der Obergeselle hatte ihn schon einmal ausgeschimpft und ihm eine schallende Ohrfeige verpasst, weil er die Herrin hatte entwischen lassen. Panisch blickte er sich um. Aber da – ein Stück weiter unten in der Gasse erblickte er nun eine mittelgroße Frau, die in einen dunklen Wollmantel gehüllt war und eine Kapuze über ihren Kopf gezogen hatte. Josepha Weber! Er hatte sie doch nicht verloren.
Während er ihr hastig folgte, kamen dem Jungen vor Erleichterung beinahe die Tränen.
»Um es vorwegzunehmen: Ich bin Agnostikerin und außerdem Protestantin. Ich kann mit so
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