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Dreikönigsmord (German Edition)

Dreikönigsmord (German Edition)

Titel: Dreikönigsmord (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bea Rauenthal
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abergläubischem Zeugs, wie es Reliquien meiner Ansicht nach sind, nichts anfangen«, sagte Jo am nächsten Nachmittag zur Äbtissin.
    Wie bei ihren letzten Besuchen saß ihr die alte Frau wieder an dem wuchtigen Holztisch in ihrem Arbeitszimmer gegenüber. Sie hob unbeeindruckt die Augenbrauen. »Unter dem Wort ›Agnostikerin‹ kann ich mir ja etwas vorstellen. Aber was soll das heißen, dass Ihr ›Protestantin‹ seid? Gegen wen oder was protestiert Ihr denn?«
    Natürlich, Luther trat ja erst mehr als hundert Jahre später auf den Plan … Jetzt mit Äbtissin Agneta über die Entstehung der Reformation zu diskutieren, würde wirklich zu weit führen. »Ach, vergesst einfach, was ich eben gesagt habe.« Jo schüttelte den Kopf.
    »Gut, dann solltet Ihr mir jetzt erzählen, warum Ihr mich eigentlich aufgesucht habt.«
    »Der Reliquienschrein der heiligen Gertrudis wurde aufgebrochen.« Jo berichtete ihr rasch, was sie und Lutz Jäger in der Nacht, nachdem Frowin ermordet worden war, herausgefunden hatten. »Und am Schrein des heiligen Stephan befinden sich ebenfalls Spuren, die darauf hindeuten, dass er gewaltsam geöffnet wurde.«
    Jo und Lutz hatten dies am Morgen entdeckt. Es war nicht ganz einfach gewesen, sich dem Schrein unbemerkt zu nähern. Denn immer wieder waren Menschen in die romanische Kirche gekommen und hatten Kerzen vor den Heiligenaltären angezündet oder sich auch einfach nur zum Beten hingekniet. Aber schließlich war es ihnen doch gelungen, den Schrein mit dem Lesestein zu untersuchen. Das vergoldete Türchen wies eindeutig tiefe Kratzer um das Schloss herum auf. Auch in diesem Schrein hatte sich ein kleines gläsernes Behältnis mit einem Knochensplitter darin befunden. Die goldene Fassung war kunstvoll gearbeitet gewesen – und ebenfalls mit tiefen Kratzern versehen.
    »Was mein Kollege und ich nun einfach nicht verstehen, ist«, schloss Jo, »dass sich jemand die Mühe macht, eine Reliquie zu stehlen. Denn offenbar sind die beiden Reliquien ja gestohlen worden. Warum nimmt der Dieb nicht einfach irgendein Knöchelchen und behauptet, dies sei die Reliquie? Ich weiß von Fällen, in denen Reliquien in meinem Jahrhundert untersucht wurden. Wir verfügen über Apparaturen, die kleinste Dinge so weit vergrößern können, dass ihre Struktur sichtbar wird, und über chemische Analysen …« Sie stockte kurz und verbesserte sich dann: »Ich meine damit, wir verfügen über Möglichkeiten, Stoffe auf ihre Bestandteile zu überprüfen. Dabei stellte sich heraus, dass manche sogenannte ›Reliquien‹ in Wahrheit Splitter von Tierknochen waren. Ganz zu schweigen davon, dass es bei anderen Knöchelchen menschlicher Herkunft offenblieb, ob sie tatsächlich von dem Heiligen stammten, dem sie zugeschrieben wurden.«
    »Euer Zeitalter scheint sehr ernüchternd zu sein. Und bar von Geheimnissen …«
    »Wenn Ihr das so nennen wollt …« Jo zuckte mit den Schultern. »Ich würde sagen, die Wahrheit ist allemal besser als ein frommer Betrug.«
    »Manchmal ist es schwierig, festzustellen, was die Wahrheit ist. Außerdem kann sie manchmal sehr hart sein.« Die Äbtissin wiegte den Kopf. Im Zimmer war es schattig geworden. Mit Hilfe ihrer Krücke stemmte sie sich aus ihrem Lehnstuhl, ging zu dem Kamin, in dem ein großes Holzscheit brannte, und hielt einen Span in die Flammen. Damit entzündete sie die dicke Honigkerze auf ihrem Tisch. Einen Moment lang betrachtete sie nachdenklich das aufflackernde Licht, ehe sie weiterredete.
    »Und vielleicht hilft das, was Ihr einen frommen Betrug nennt, in gewissen Fällen den Menschen ja, besser durchs Leben zu kommen. Aber wie auch immer … Für einen frommen Dieb würde es auf jeden Fall einen Unterschied machen, ob er wirklich die Reliquie besitzt oder nur einen völlig beliebigen Knochensplitter.«
    »Aber es ist doch bestimmt eine schwere Sünde, eine Reliquie zu stehlen. Wie könnte also ein frommer Mensch so etwas tun?«
    »Da habt Ihr recht.« Die Äbtissin nickte. »Ein solcher Dieb müsste fürchten, sich die ewige Verdammnis zuzuziehen.«
    In welch seltsamen Kategorien in dieser Zeit nur immer gedacht wurde … »Mein Kollege und ich haben den Verdacht, dass Jörg Schreiber hinter dem Reliquiendiebstahl stecken könnte.«
    Äbtissin Agneta wirkte nicht überzeugt. »Ich weiß, dass dieser Mann in viele gottlose Geschäfte verstrickt ist. Aber einen Reliquiendiebstahl traue ich ihm eigentlich nicht zu. Im Grunde genommen ist er ein ängstlicher Mann. Wie

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