Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dreikönigsmord (German Edition)

Dreikönigsmord (German Edition)

Titel: Dreikönigsmord (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bea Rauenthal
Vom Netzwerk:
verschneiten Fläche zwischen einer hohen, kahlen Hecke schwirrte die Luft von zornigen Stimmen. Fackeln und Lampen warfen zuckende Schatten und verliehen der Szenerie ein zusätzlich unheimliches Gepräge. Jo sehnte sich nach kaltem, klarem Neonlicht.
    Lutz steuerte auf einen rundgesichtigen, dicken Mann zu, den Jo – wenn der Anlass weniger ernst und bedrückend gewesen wäre – beinahe komisch gefunden hätte. Er trug einen Schlapphut und ein Lederwams. An seinem breiten Ledergurt baumelte ein Dolch, und in der Rechten hielt er eine Hellebarde – ein Aufzug, mit dem er geradewegs einem mittelalterlichen Jahrmarkt entstiegen zu sein schien. Nur, dass er tatsächlich hierhergehörte. Offenbar war der Mann ein Stadtsoldat.
    »Grüß dich, Peter«, wandte sich Lutz an den Dicken. »Kannst du mir etwas über den Toten sagen?« Anscheinend, konstatierte Jo, kannte ihr Kollege wirklich jeden.
    Sie hatte sich einige Schritte hinter Lutz gehalten. Nun trat sie näher, als habe sie die Frage rein zufällig gehört und sei ganz einfach neugierig.
    »Nun, es ist kein Er , sondern eine Sie .« Der Stadtsoldat kratzte sich an seinem stoppeligen Kinn.
    »Wirklich? Bist du dir sicher?« Lutz’ Stimme klang so perplex, wie Jo sich fühlte.
    »Ja, ich irre mich nicht. Ich kenne das Mädchen sogar flüchtig. Es ist die Tochter von Conrad Baumgarten, einem Goldschmied, der sein Haus in der Josephigasse hat. Dürfte kaum vierzehn Jahre alt gewesen sein. Das arme Ding.« Peter schüttelte den Kopf.
    »Könntest du mir helfen, durch die Menge zu kommen? Ich würde mir die Tote gern einmal ansehen.«
    »Klar, mach ich.« Peter, der Lutz’ Wunsch einfach für Neugierde und Schaulust zu halten schien, nickte. »He, aus dem Weg. Platz da!«, brüllte er und schob die Leute beiseite, wobei er seine muskulösen Arme einsetzte und auch den Stiel der Hellebarde kräftig gebrauchte. Jo hielt sich im Kielwasser der beiden Männer, bis sie den Rand der Menge erreichten. Rasch nahm sie die Szene in sich auf und zwang sich, nüchtern zu beobachten.
    Ein halbes Dutzend weiterer Soldaten stand um den Leichnam. Dahinter wuchsen Sträucher und Bäume, deren vereiste Äste im Flammenschein ein kaltes Glitzern verströmten.
    »Lasst Lutz mal durch«, bedeutete Peter seinen Leuten.
    »Lutz …« Sie nickten ihm ernst zu, während sie ihm Platz machten. Jo sah, wie ihr Kollege unwillkürlich zögerte, als ob er überlegte, wie mögliche Spuren am besten zu schützen seien. Dann ließ er sich von einem der Männer eine Fackel geben und beugte sich in einigem Abstand über die Tote.
    Die Tote …? Überrascht trat Jo einen Schritt näher und spähte zwischen den Soldaten hindurch. Nein, sie hatte sich nicht getäuscht. Das Mordopfer trug eindeutig Jungenkleidung. Eine Hose und einen kurzen Wollkittel unter einem dunklen Umhang. Langes blondes, blutbesudeltes Haar quoll unter einer Kappe hervor, als hätte das Mädchen es darunter versteckt. Hatte der Mörder sie für einen Jungen gehalten, und war sie deshalb ermordet worden? War ihre und Lutz’ Theorie, dass der Mörder es möglichweise aus sexuellen Motiven auf junge Männer abgesehen hatte, also doch nicht falsch gewesen?
    Auch dem Mädchen war die Kehle durchgeschnitten worden. Soweit dies unter all dem Blut zu erkennen war, musste es hübsch gewesen sein. Denn seine Augen waren groß, und die Gesichtszüge wirkten zart.
    Jo registrierte plötzlich, dass das Stimmengewirr leiser geworden war. Hinter sich spürte sie eine Bewegung und wandte den Kopf. Bischof Leonard schritt in Begleitung einiger kostbar gekleideter Bewaffneter – sie gehörten wohl zu seiner persönlichen Wache – durch die Menge. Ehrfurchtsvoll bildeten die Leute eine breite Gasse. Auch Lutz und die Stadtsoldaten wichen zurück.
    Hatte der Bischof sie mit seinem Blick gestreift, oder hatte der Fackelschein sie genarrt, und sie hatte sich das nur eingebildet? Ein Zittern durchlief Jo.
    Einige Momente lang betrachtete Leonard das tote Mädchen. Dann bückte er sich, schloss ihr mit einer beinahe sanften Gebärde die Augen und bekreuzigte sich.
    »Anna! Lasst mich zu meiner Tochter … Anna …« Die klagenden Schreie drehten Jo fast den Magen um. Trotz der Kälte brach ihr der Schweiß aus. Niemals würde sie sich an das Leid der Angehörigen gewöhnen. Eine Frau stürzte an ihr vorbei. Sie stieß Peter und einen anderen Soldaten, die sie festhalten wollten, zur Seite und warf sich schluchzend über die Tote, als wollte sie ihr

Weitere Kostenlose Bücher