Dreikönigsmord (German Edition)
Blaufärbergasse, wo Annas Freundin Elisabeth wohnt. Dort hat Anna sich immer umgezogen«, bestätigte Bernward, was Elisabeth Jo bereits anvertraut hatte. »Wir waren einfach glücklich, zusammen auf den Wiesen in der Nähe der Stadtmauer herumzustreifen. Einmal haben wir gemeinsam eine Schneelaterne gebaut …« Wieder brach er ab.
»Habt Ihr Euch immer zur selben Uhrzeit verabredet?«
»Nein, und an dem Tag, an dem Anna getötet wurde, waren wir überhaupt nicht verabredet.«
»Was?«, fuhr Jo auf.
»Warum habt Ihr uns das nicht gleich gesagt?«, knurrte Lutz.
»Verzeiht, ich bin einfach völlig durcheinander.« Bernward stieß ein trockenes Schluchzen aus. »Ich dachte, Anna hätte sich einfach im Tag geirrt. Denn wir wollten uns erst am darauffolgenden Tag auf der Wiese treffen.«
»Wie habt Ihr Euch verabredet?«, warf Jo ein. »Habt Ihr Euch Nachrichten geschickt?«
»Meistens verabredeten wir einfach, wann wir uns das nächste Mal treffen wollten. Aber hin und wieder hat Anna mir ein Wachstäfelchen zukommen lassen oder ich ihr ein gebranntes Tonstück mit ein paar Worten darauf.«
»Anna muss zwischen fünf und sechs Uhr getötet worden sein«, übernahm erneut Lutz. »Wo wart Ihr da?«
»Hier …«
»Kann das jemand bestätigen?«
Bernward blickte ihn verwirrt an. »Kurz nachdem die Uhr der Georgskirche fünfmal schlug, kam Stefan, der Wirt des Roten Ochsen aus der Martinigasse, zu mir. Er orderte eine größere Menge Becher, und außerdem ließ er sich von mir Teller und Schüsseln zeigen. Wir plauderten ein bisschen über dies und das. Er muss gegen sechs Uhr wieder gegangen sein.« Seine Augen weiteten sich, als er begriff, was Lutz’ Frage zu bedeuten hatte. »Ich sagte Euch doch schon, ich habe Anna nicht getötet. Ich weiß noch genau, dass ich mir, als Stefan bei mir war, plötzlich Sorgen um Anna machte. O Gott, hätte ich doch nur auf meine innere Stimme gehört und wäre ich zu der Wiese gegangen. Dann wäre Anna wahrscheinlich jetzt noch am Leben.« Er vergrub sein Gesicht in den Händen und brach schluchzend zusammen.
Wahrscheinlich hätte ihr Mörder dann auch Bernward umgebracht , dachte Jo. Doch was auch immer sie jetzt zu ihm sagen würde, sie würde nicht zu ihm durchdringen. Sie ging zum Bett, nahm eine der Decken und legte sie ihm um die Schultern. Doch noch nicht einmal ihre Berührung schien er zu bemerken.
»Lass uns gehen.« Jo bedeutete Lutz, ihr zu folgen. Sie war schon bei der Tür, als sie bemerkte, dass ihr Kollege in den hinteren Teil der Stube gegangen war und sich dort zu etwas hinabbückte.
»Nach was hast du denn gesucht?«, fragte Jo, als Lutz kurz darauf zu ihrem Schlitten kam.
»Ich habe mir Bernwards Schuhe angesehen. Es war keiner dabei, der diesen merkwürdigen Nagel im Absatz hat. Von ihm stammt der Abdruck im Schnee also nicht.« Lutz schwang sich neben sie auf den Sitz.
»Auf mich wirkte seine Verzweiflung echt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er Anna umgebracht hat.«
»Da stimme ich mit dir überein.« Lutz nickte. »Obwohl ich sicherheitshalber noch einmal mit diesem Stefan vom Roten Ochsen reden werde. Ich schätze, die Sache hat sich so abgespielt, dass Anna eine Nachricht erhielt – angeblich natürlich von Bernward –, die sie an jenem Abend zur Wiese bestellte. Und dort wartete dann ihr Mörder auf sie.«
Eine Gänsehaut überlief Jo. Bestimmt war das junge Mädchen erwartungsvoll und voller Vorfreude zu dem Treffpunkt gekommen. Hoffentlich war alles schnell gegangen und Anna hatte nicht viel Entsetzen und Furcht spüren müssen. »Aber warum nur wurde sie getötet? Wenn Anna in eine Falle gelockt wurde – was ich annehme –, dann hat der Mörder sie gekannt und sie nicht versehentlich für einen Jungen gehalten.«
»Nein, auch wenn wir es – da du ja den blauen Flusen an Annas Sachen gefunden hast – eindeutig mit ein und demselben Mörder zu tun haben.« Lutz hob die Hand. »Immerhin haben wir ein Bindeglied: nämlich Jörg Schreiber. Er wollte, dass sein Sohn Anna heiratete. Anselm und Frowin arbeiteten in seinem Bordell, und er handelt mit Reliquien.«
»Falls die Reliquiendiebstähle mit den Morden zu tun haben«, stellte Jo klar.
Lutz seufzte. »Ja, falls …«
»Außerdem, warum hätte Jörg Schreiber Anna töten sollen?«
»Weil sie von Constantin etwas wusste, das Schreiber schaden konnte?« Er klang selbst nicht recht überzeugt.
»Aber nach dem, was Annas Mutter und ihre Freundin Elisabeth sagten, hatten die
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