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Dreikönigsmord (German Edition)

Dreikönigsmord (German Edition)

Titel: Dreikönigsmord (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bea Rauenthal
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beiden nun wirklich kein enges Verhältnis. Und oft gesehen haben sie sich auch nicht.«
    »Ja, ja, schon gut«, knurrte Lutz. »War bloß eine Überlegung.«
    Jo hob resigniert die Schultern. »Ich sehe auch überhaupt keinen vernünftigen Ansatzpunkt mehr. Alle Spuren scheinen irgendwie ins Leere zu laufen.«
    »In diesem Fall ist es doch am besten, Routinearbeiten durchzuführen.« Lutz grinste schief. »Wir sind noch nicht damit durch, alle Reliquienschreine in den Kirchen zu überprüfen. Bevor du jetzt aber in übermäßige Euphorie ausbrichst: In den nächsten Tagen dürfte das schwierig werden, denn wegen Weihnachten wird in der Stadt und in den Kirchen die Hölle los sein.«
    »Morgen ist schon der vierundzwanzigste.« Jo stöhnte. »Das habe ich tatsächlich völlig verdrängt.«
    »Na, vielleicht komme ich ja mit einem Geschenk bei dir vorbei.«
    »Lieber nicht.« Jo lächelte. »Das wäre nicht gut für meine Reputation.«
    Lutz blickte zu Bernwards Haus. Es war das einzige in der Gasse, aus dessen Schornstein kein Rauch drang. Seine Miene wurde ernst. »Mir ist nicht wohl dabei, Bernward allein zu lassen. Schließlich haben wir ihm beide ziemlich zugesetzt.«
    »Ich kann eine Weile bei ihm bleiben«, bot Jo an, der bei dem Gedanken an die eisig kalte Stube ganz trostlos zumute wurde.
    »Lass nur!« Lutz schüttelte den Kopf. »Ich werde einmal zu Gwendolin gehen und sie bitten, nach Bernward zu sehen. Ich glaube, sie bemuttert ganz gern einsame junge Männer.«
    Während er vom Schlitten sprang, hörte Jo auf der nahen Wiese Kinder lärmen. Das fröhliche Geschrei machte sie noch trauriger.
    Am nächsten Morgen wurde Jo von einem kratzenden Geräusch geweckt: Die Mägde scheuerten die allerletzten Winkel des Hauses blitzblank. Weihnachten mit der Belegschaft eines mittelständischen Unternehmens zu feiern – wie absurd!, ging es ihr durch den Kopf. Trotzdem war sie ein bisschen aufgeregt. Zum letzten Mal hatte sie sich als Kind am Weihnachtstag so gefühlt.
    Die lange Tafel in der Küche war mit Tannenzweigen geschmückt, und zur Feier des Tages gab es Hefezopf zusätzlich zur Morgensuppe, weshalb Jo auf ihren üblichen angekokelten Toast verzichtete.
    Danach half sie im Laden aus. Was dringend nötig war, denn auch im Mittelalter schienen die Menschen ihre Weihnachtseinkäufe in der letzten Minute zu erledigen. Scharen von Menschen drängten sich vor der Theke, und Jo und die Mägde kamen kaum damit nach, Stoffe abzumessen und Schals, Mützen und Umschlagtücher zu verkaufen. Wenigstens entfiel – mangels Papier – das Einpacken der Geschenke.
    Gegen Mittag half Jo einem Kunden, seine Einkäufe zu seinem Schlitten zu tragen, der vor der Haustür parkte. Nachdem der letzte Stoffballen verstaut war, blieb sie einen Moment auf der Gasse stehen. Es war klirrend kalt, aber die Sonne schien von einem wolkenlosen Himmel. Rauch stieg in großen Dampfschwaden von den Kaminen auf. In der Nacht hatte es ein wenig geschneit. Frischer Schnee lag auf den Dächern und glitzerte in dem klaren Licht. Ein Lächeln breitete sich auf Jos Gesicht aus. Ja, sie empfand Trauer über die Morde, und sie würde in diesem verwünschten Zeitalter niemals heimisch werden. Trotzdem war es einfach schön, am Leben zu sein.
    In der gegenüberliegenden Hofeinfahrt nahm Jo eine Bewegung wahr. Dort stand der magere blonde Junge, den sie schon öfter in der Stadt gesehen hatte. Seine nackten Beine steckten in Holzpantinen und waren ganz blaugefroren, und sein einziger Schutz gegen die Kälte bestand in einer fadenscheinigen Decke, die er um sich gewickelt hatte. Schon sein Anblick genügte, um Jo frieren zu lassen.
    »Komm her!«, rief sie dem Jungen zu. Er zuckte zusammen und zog sich tiefer in die Hofeinfahrt zurück. Jo ging einige Schritte über die Gasse. »Nun komm schon«, lockte sie. »Ich will dir nichts Böses. Wenn du magst, kannst du in der Küche eine heiße Suppe bekommen.«
    Einige Momente lang regte der Junge sich nicht. Dann tappte er zögernd, wie ein wildes Tier, das nach einer Fluchtmöglichkeit Ausschau hielt, auf sie zu.
    »Ja, gut so. Hier hinein …« Jo redete beruhigend auf ihn ein, wie sie es auch bei einem scheuen Pferd getan hätte. Als er an ihr vorbeihuschte, sah sie erst richtig, wie hohläugig sein Gesichtchen war. Der Kleine musste halb verhungert sein. Um zu verhindern, dass er ihr doch noch davonlief, fasste sie ihn bei den Schultern und schob ihn vor sich her, durch die Halle und dann zur

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