Dreiländermord
Entdeckung alles in die Wege
geleitet, einen vertrauenswürdigen Arzt aus unserer Gemeinde herbeigerufen und einen
natürlichen Tod als Ursache behauptet. Im Prinzip wissen nur der Polizist, der Arzt
und ich richtig Bescheid.«
Beklemmendes Schweigen machte sich in Wilhelms Büro breit, gestört
nur durch das Summen eines Rechners unter dem Schreibtisch.
»Hm«, räusperte sich endlich Sümmerling. »Über Selbstmord schreibt
man in aller Regel nichts. Doch merkwürdig finde ich es schon, wenn sich ein Pfarrer
so mir nichts, dir nichts von der Welt verabschiedet und zu seinem Chef abhebt.«
Wenn es ihn wurmte, dass ihm Geraedts keine Kopie des Abschiedsbriefs gegeben hatte,
so unterdrückte er seinen Unmut ausgesprochen gut.
»Wir können es alle nicht verstehen. Der Pfarrer hatte den Himmel auf
Erden«, brachte Geraedts einen nicht gerade passenden Vergleich. »Paul Moulin hatte
von Haus aus Vermögen, das er längst einer kirchlichen Stiftung übereignet hat,
besitzt viele Freunde und konnte sich einen Luxus leisten, den nur wenige von uns
haben. Er ist viele Jahre lang jeden Sommer für vier Wochen in sein eigenes Ferienhaus
auf Ibiza geflogen. Wir haben es ihm gegönnt, einmal unerkannt Mensch zu sein. Aber
immer, wenn ihn dort jemand aus unserer Gemeinde zufällig oder auf Einladung besucht
hat, war er wie hier unser Pfarrer.«
»Schwul?«, platzte Sümmerling respektlos dazwischen.
Geraedts schüttelte verneinend den Kopf. »Würde ich nicht sagen. Es
gibt zwar weder einen Beweis dagegen noch dafür, aber der Umstand, dass die von
ihm bedachte Stiftung der Unterstützung alleinerziehender Mütter dient, spricht
dagegen. Es sind Mütter, deren Kinder vielleicht ›geistlichen‹ Ursprungs sind.«
»Vielleicht hat euer belgischer Müller ein Mädel geschwängert und latzt
jetzt dafür«, bemerkte Sümmerling frech. Er wollte wohl unbedingt seine Französischkenntnisse
anbringen und sagen, das ›Moulin‹ übersetzt ›Müller‹ heißen würde.
»Das könnte eine Ursache für Pauls mildtätiges
Handeln sein«, entgegnete Geraedts. »Doch um wieder zum Thema zu kommen. Unser Pfarrer
hat sein Haus auf Ibiza verkauft, als wir für unsere Kirche eine neue Orgel brauchten
und das Bistum uns wegen seiner klammen Kassen kein Geld geben konnte. Da hat er
uns die Orgel geschenkt, ohne es an die große Glocke zu hängen.« Geraedts lächelte.
»Das ist die einzige Geschichte, die ich im Nachhinein noch schreiben kann. Bisher
haben wir immer von einem unbekannten Spender der Orgel gesprochen. Heute kann ich
der Welt berichten, wer das gute Werk vollbracht hat.«
Wilhelm hob die Hand. »Hast du was dagegen, wenn ich die Information
melde?«
»Nein, wenn du sie am Freitagabend als Kurznachricht bringst mit dem
Hinweis, dass das Grenz-Echo am Samstag ausführlich berichtet, bin ich damit vollkommen
einverstanden«, antwortete Geraedts und verursachte damit bei Sümmerling ein verwundertes
Erstaunen.
Sprachlos, mit offenem Mund, hatte der Journalist aus Aachen Schwierigkeiten,
diese kooperative Haltung zwischen konkurrierenden Medien zu verstehen. So etwas
schien ihm in der Stadt Karls des Großen unmöglich.
»Ja, so sind wir halt, wir Belgier«, schmunzelte Wilhelm.
»Hier arbeiten wir miteinander als Deutschsprachige zwischen Franzosen
und Holländern.« Aber er habe selbstverständlich nichts gegen seine anderssprachigen
Landsleute, ergänzte er beschwichtigend.
»C’est sure, nous parlons
avec tous nos amis.«
»Dat kloppt«, ergänzte Geraedts. »Wij praate met all ons vrienden.«
»Die spinnen, die Belgier«, entfuhr es Sümmerling verblüfft, derweil
Böhnke durchaus neidvoll die Vielsprachigkeit bewunderte.
»Manchmal spinnen unsere Landsleute in der Tat«, lachte Wilhelm, »wie
man an der aktuellen Wahl der Miss Belgien eindrucksvoll erkennen kann.«
»Was ist damit?«, gab sich Sümmerling mit einem Mal neugierig.
»Das Mädel stammt aus dem wallonischen Teil Belgiens und kann kein
Wort Niederländisch, sondern nur Französisch. Jetzt regen sich die Flamen auf und
fordern die Neuwahl einer zweisprachigen Schönheitskönigin.«
»Die ja eigentlich sogar dreisprachig sein müsste«, gab sich Sümmerling
besonders klug.
»Nicht doch«, meinte Geraedts schmunzelnd. »Das sollen die Franzmänner
und die Käseköppe ruhig unter sich ausmachen. Wir wissen, dass unsere Frauen die
Schönsten weit und breit sind.«
9.
Auf der Rückfahrt aß Böhnke vielleicht nicht die schönsten, aber mit
Abstand die
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