Dreiländermord
überhaupt welche waren,
redete er sich ein, als er langsam entlang der herbstlichen Wiesen schritt, auf
denen das rotbunte Milchvieh das letzte Grün des Jahres fraß. Noch sammelte er Informationen,
ein wenig unsortiert, ein wenig zusammenhanglos. Aber vielleicht gab es ja einige,
die in ein Mosaik hineinpassten, machte er sich Mut.
Sümmerling schien von derartigen Überlegungen nichts zu halten. »Mal
schaun, was uns der Besuch bei unseren Pommesfreunden bringt«, sagte er frohgemut,
als sie in seinen Ford stiegen. Sein Vorschlag, über Mützenich nach Eupen zu fahren,
stieß auf keine positive Reaktion bei Böhnke. Dem Kommissar a. D. war einerlei,
wie sie nach Belgien kamen, solange sie nur heil dabei blieben. Er hatte den Schreiberling
des Öfteren fragen wollen, wie alt er sei, aber es bislang nicht getan. Der hagere
Mann mit der zerzausten Langhaarfrisur, der kleinen Nickelbrille und der saloppen
Kleidung war altersmäßig nicht einzuschätzen. Doch er dürfte, so vermutete Böhnke,
bereits über das Mittelalter bis 50 hinaus sein.
Ursprünglich, so berichtete Sümmerling beiläufig, hätte das Gespräch
mit seinen Journalistenfreunden aus Belgien am Morgen stattfinden sollen. Es sei
verschoben worden, weil in der Frühe die Beerdigung eines allseits beliebten Pfarrers
dazwischengekommen sei.
»Da musste der Rundfunkchef hin, immerhin handelte es sich um einen
der wenigen deutschsprachigen Popen im Pommesland«, lästerte Sümmerling, für den
Belgien offenbar in erster Linie das Land der frittierten Kartoffelstäbchen war.
Wenn man wie er aus Aachen kam, da war man als zweibeinige Printe durchaus froh,
wenn man es anderen mit einer ähnlich scherzhaften Verspottung heimzahlen konnte.
»Es handelt sich nicht zufällig um den Pfarrer von Kelmis?«, hakte
Böhnke interessiert nach. Das Ableben des Geistlichen und die damit verbundene Trauerzeit
wäre möglicherweise der Grund gewesen, weshalb niemand auf seine Anrufe reagiert
hatte.
Sümmerling schaute erstaunt zu Böhnke hinüber. »Wie kommen Sie denn
darauf?« Für einen Augenblick verlor er die Kontrolle über sich. »Das hat in Deutschland
eigentlich niemand mitbekommen, dachte ich. Und Sie, der so einsam und verlassen
in der Prärie hockt, weiß darüber Bescheid. Wie kommt’s?«
Nur schwerlich konnte Böhnke ein Schmunzeln unterdrücken. Anscheinend
war er doch nicht so ausführlich von Bahn informiert worden, wie Sümmerling ihn
hatte glauben lassen. Das schien eine weitere Eigenschaft von Journalisten zu sein:
Sie besaßen die Fähigkeit, anderen gegenüber den Eindruck zu erwecken, alles zu
wissen, obwohl sie nur bruchstückhaftes Wissen hatten oder nur Gerüchte kannten.
»Bei uns in der Kneipe habe ich gestern Abend davon gehört. Da wollte
offenbar jemand zur Beerdigung fahren«, log er überzeugend, während er aus dem Seitenfenster
blickte und auf die gepflegten Vorgärten der Einfamilienhäuser im ehemaligen Schmugglerdorf
Mützenich sah. »Das ist mir gerade in den Sinn gekommen.«
Sümmerling akzeptierte die Antwort. »Ja, ja, unsere Belgier. Das ist
schon ein merkwürdiges Völkchen. Wussten Sie eigentlich, dass meine Zeitung noch
vor ein paar Jahren eine eigene Lokalredaktion in Eupen hatte? Wir waren, glaube
ich, die einzige deutsche Tageszeitung mit einer eigenen deutschsprachigen Ausgabe
im Ausland.«
Böhnke hatte davon gehört, mimte aber den Ahnungslosen, um Sümmerling
Gelegenheit zu geben, eine ausführliche Erklärung loszulassen.
»Wie Sie bestimmt wissen, gibt es hier im ostbelgischen
Königreich entlang der Grenze quasi einen deutschsprachigen Kanton, in dem Deutsch
sogar nach Französisch und Niederländisch offiziell die dritte Amtssprache ist.
So wohnen nicht nur viele deutschsprachige Belgier hier zwischen Aachen über Malmedy
bis hin zur luxemburgischen Grenze, sondern es sind auch viele Deutsche hinübergezogen.
Wegen der Steuern, der billigeren Mieten und Hauspreise und so.« Da habe der Zeitungsverlag
den vielen Stadtflüchtlingen aus Aachen die Zeitung nachschicken müssen und daher
beschlossen, eine eigene Zeitung in der Kantonshauptstadt Eupen einzurichten, weil
es sich damals finanziell rechnete. »Als wir dann den Laden dichtgemacht haben,
weil uns das Grenz-Echo zu sehr ans wirtschaftliche Leder ging, ist der Lokalchef
der AZ zum belgischen Rundfunk gewechselt«, berichtete Sümmerling. Er betrachtete
Böhnke erneut von der Seite. »Kennen Sie eigentlich Eupen?«, fragte er, nachdem
sie sich bereits
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