Dreiländermord
Kaffeetasse rührte, die ihm Wilhelm in der Sitzgruppe des
Büros gereicht hatte.
Geraedts blinzelte. »Ich glaube, ihr wollt wissen, was ein Kollege
aus Düren von mir wollte. Stimmt’s?«
»Richtig. Komm zur Sache, Mann!«, stöhnte Sümmerling.
Geraedts probierte zunächst mit viel Bedacht seinen Kaffee, bevor er
zur Antwort kam. So viel Zeit musste sein. »Der Kollege wollte etwas über ungeklärte
Todesfälle wissen«, sagte er zunächst allgemein und konnte damit weder Böhnke noch
Sümmerling in Erstaunen versetzen. Nach einem weiteren Schluck Kaffee wurde er konkreter.
»Da gab es im Prinzip nur einen erwähnenswerten Fall vor knapp drei
Jahren, der in Wirklichkeit gar nicht so auffällig ist. Im Hohen Venn wurde eine
Frau Mitte 30 tot aufgefunden. Sie hat sich wohl im Hochmoor verlaufen, ist im plötzlich
einbrechenden Nebel und dann in der Dunkelheit vom Weg abgekommen und erfroren.
Kommt gelegentlich vor bei Leuten, die das Hohe Venn nicht kennen und unterschätzen
oder die glauben, die Warnschilder überall gelten nicht für sie. Die Frau stammt
aus Ostende, niederländisch Oostende, von unserer Nordseeküste, war allein unterwegs
und wurde erst spät als vermisst gemeldet. Als die Suchtrupps sie gefunden hatten,
war es mit ihrem Leben längst vorbei. Das war nämlich einige Wochen später.« Nervös
schaute Geraedts von einem Zuhörer zum nächsten. »Das war eigentlich der einzige
ungewöhnliche Fall. Sieht schwer nach Unfall aus.«
Böhnke meldete sich nachdenklich zu Wort. Eine Bemerkung von Geraedts
hatte ihn aufmerksam werden lassen. »Sie sprachen von ›im Prinzip nur einen erwähnenswerten
Todesfall‹. Es gab also weitere Fälle?«
Geraedts schüttelte abwägend seinen kleinen, fast
haarlosen Kopf. »Ich will ja nichts Falsches oder gar Schlechtes reden. Allerdings
ist die Geschichte mit dem Pastor, den wir heute beerdigt haben, irgendwie auch
ungewöhnlich.« Er sah beinahe entschuldigend zur Zimmerdecke. »War Selbstmord, aber
auf eine sehr außergewöhnliche Art. Er hatte sich eine Flasche Doppelwacholder einverleibt,
eine Plastiktüte über den Kopf gestülpt und um die Tüte am Hals eine Wäscheleine
geschlungen. Die beiden Enden der Leine hatte er um seine Hände gewickelt und daran
gezogen. Paul Moulin, so heißt er, lag nackt auf seinem Bett und sah mit den ausgestreckten
Armen aus wie ein Gekreuzigter.« Geraedts schüttelte sich. »Wie kann man nur? Das
ist doch pervers.«
»So sind sie halt, unsere Belgier«, kommentierte Sümmerling unbeeindruckt
und respektlos mit seiner Standardbemerkung, wodurch er sich einen bösen Blick von
Wilhelm einhandelte. Auch Böhnke war über die wenig originelle Wiederholung nicht
erfreut. »Ein Fremdverschulden scheidet aus?«, ließ er sich mitfühlend vernehmen.
»Fremdverschulden ist nahezu unmöglich«, antwortete Geraedts. »Das
Zimmerfenster war verschlossen, die Wohnungstür von innen mit einem aufgesteckten
Schlüssel verriegelt. Ein Abschiedsbrief hat die allerletzten Zweifel beseitigt.«
Er lächelte Böhnke verlegen an. »Meinetwegen können Sie den Brief haben. Ich habe
zwei Kopien gemacht.« Aus seiner Jackentasche zog er ein Blatt. »Wenn Sie den Brief
gelesen haben, werden Sie auch keine Zweifel mehr haben.«
Böhnke nickte dankend und steckte das Papier ein. Die Frage, die er
stellen wollte, schob er zurück. »Wenn Sie es sagen, habe ich keine Zweifel. Und
heute war die Beerdigung?«
Geraedts nickte heftig und schluckte schwer. »Das macht die Sache ja
noch schlimmer. Nach außen erwecken wir den Eindruck, als sei der Pastor eines natürlichen
Todes gestorben. Obwohl alles so schrecklich ist. Und ich kann und will die Wahrheit
nicht schreiben, weil ich den Menschen nicht die Vorstellung von ihrem guten und
liebenswürdigen Seelsorger rauben will. Wissen Sie«, wieder schluckte er schwer,
»ich war dabei, als wir ihn gefunden haben.«
Damit hatte er Böhnkes zurückgestellte Frage fast schon beantwortet.
»Wieso?«, fragte der Kommissar. »Sind Sie informiert worden?«
»Nein. Dann hätte ja jemand anderes etwas wissen müssen. Ich bin im
Kirchenvorstand und weil unser Pfarrer sich übers Wochenende auch nach zwei Tagen
nicht aus seiner Wohnung und ins Pfarrbüro begeben hatte, sind wir zu ihm hin und
haben, nachdem er sich einfach nicht auf unser Klopfen und Klingeln gemeldet hatte,
die Tür eingetreten. Wir«, erläuterte er schnell, »das waren ich und ein Polizist,
der in der Nachbarschaft wohnt. Wir haben nach unserer
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