Dreimal im Leben: Roman (German Edition)
von früher noch weiß. Das ist eine andere Generation, sagt er sich mit Blick auf den kurzen Rock des Mädchens, ihre nackten Knie, bestellt einen Negroni und redet drauflos.
»Sorrent ist hübsch ... Haben Sie Amalfi schon besucht? Und Capri?« Sein altes, verlässliches Lächeln, tausendmal geübte und bewährte Gesten. »Um diese Jahreszeit sind dort weniger Touristen. Ich versichere Ihnen, es lohnt sich.«
Nicht besonders reizvoll, stellt er erneut fest. Auch nicht hässlich. Jung eben. Frische Haut und Jugend, mehr nicht, wie eine Peggy-Sage-Reklame. Alles in allem die Attraktivität der Anfangzwanzigerinnen, sofern man Anfangzwanzigerinnen attraktiv findet. Irina hat die Sonnenbrille abgenommen – übermäßig groß mit weißer Fassung –, und darunter besteht ihr Make-up lediglich aus einem dicken schwarzenBalken um die riesigen, ausdrucksvollen Augen. Das Haar hat sie mit einem breiten Band zurückgenommen, das mit demselben Op-Art-Muster bedruckt ist wie ihr kurzes Kleid. Ein Allerweltsgesicht, im Moment freundlich. Schach prägt den Charakter nicht, denkt Max. Weder bei Männern noch bei Frauen. Ein überragender Intellekt, ein logischer Geist, ein begnadetes Gedächtnis können ganz selbstverständlich mit einem gewöhnlichen Lächeln, einem einfältigen Wort, einer ordinären Geste einhergehen. Schachspieler seien auch nicht intelligenter als der Rest der Menschheit, hatte Mecha Inzunza kürzlich gesagt. Ihre Intelligenz sei nur anders geartet. Sie funkten auf einer speziellen Wellenlänge.
»Ich hätte mir Mecha nie vorstellen können, wie sie, umgeben von Schachspielern, ihren Sohn umsorgt«, tastet Max sich vor. »Ich habe sie anders in Erinnerung.«
Irina zeigt Interesse. Sie beugt sich vor und stützt die Ellbogen auf den Tisch, neben das Glas Coca Cola, in dem Eiswürfel schwimmen.
»Haben Sie sich lange nicht gesehen?«
»Jahre«, nickt er. »Und unsere Freundschaft reicht weit zurück.«
»Was für ein glücklicher Zufall also. In Sorrent.«
»Ja. Ein sehr glücklicher.«
Der Kellner kommt mit seinem Getränk. Die junge Frau beobachtet Max neugierig, während er das Glas an die Lippen führt.
»Haben Sie Jorges Vater gekannt?«
»Flüchtig. Kurz vor dem Krieg.« Langsam setzt er das Glas auf dem Tisch ab. »Mechas ersten Mann kannte ich eigentlich besser.«
»De Troeye? Den Musiker?«
»Richtig. Der diesen berühmten Tango komponiert hat.«
»Ach ja, natürlich. Der Tango.«
Sie betrachtet die Pferdedroschken, die an der Piazza aufKundschaft warten. Die Kutscher langweilen sich im Schatten der Palmen.
»Das muss eine faszinierende Welt gewesen sein. Die Kleider und diese Musik ... Mecha sagt, Sie seien ein sagenhafter Tänzer gewesen.«
Max’ Handbewegung schwankt zwischen wohlerzogenem Protest und vornehmer Bescheidenheit. Er hat sie sich dreißig Jahre zuvor in einem Film von Alessandro Blasetti abgeschaut.
»Gehobenes Mittelmaß.«
»Und wie war sie damals?«
»Elegant. Traumhaft schön. Eine der anziehendsten Frauen, die mir je begegnet sind.«
»Mir fällt es schwer, sie mir so vorzustellen. Sie ist Jorges Mutter.«
»Und wie ist sie als Mutter?«
Schweigen. Mit der Fingerspitze berührt Irina das Eis in ihrem Glas, ohne zu trinken.
»Ich bin wohl nicht die Richtige, denke ich. Um diese Frage zu beantworten.«
»Zu gluckenhaft?«
»Sie hat ihn gewissermaßen geformt«, sagt das Mädchen, nach einer weiteren Pause. »Ohne ihre Hilfe wäre Jorge nicht das, was er ist. Und würde auch niemals, was er werden könnte.«
»Wollen Sie damit sagen, er wäre glücklicher?«
»O nein, ich bitte Sie. Sicher nicht. Jorge ist glücklich.«
Max nickt höflich und nippt wieder an seinem Negroni. Ohne Mühe kann er sich den einen oder anderen glücklichen Mann in Erinnerung zu rufen, dessen Frau ihn mit ihm, Max, hintergegangen hat.
»Sie wollte nie ein Monstrum erschaffen wie andere Mütter«, fährt Irina nach einer Weile fort. »Sie hat immer versucht, ihn wie ein ganz normales Kind zu erziehen. Und aufgepasst, dass das mit dem Schach kompatibel war. Und zum Teil ist ihr das ja auch gelungen.«
Die letzten Worte hat sie immer schneller gesprochen und dabei über den Platz geblickt, als fürchtete sie, Mecha Inzunza könnte jeden Moment auftauchen.
»War er wirklich ein außergewöhnliches Kind?«
»Damit Sie eine Ahnung bekommen: Mit vier Jahren hat er schreiben gelernt, indem er seiner Mutter dabei zuguckte, und mit fünf wusste er sämtliche Länder und Hauptstädte
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